DUBLINER von JAMES JOYCE Text DIE FAMILIENPENSION Geschichte

 

Dubliner
 James Joyce 
Voll-Text

(Dubliners, 1914)

 

 Joyce Geschichte

Die Familienpension

( auf Englisch: The Boarding House )

 

Volltext der Geschichte

ins Deutsche übersetzt

Irische Literatur

 

„ Die Familienpension “ (auf Englisch: The Boarding House ) ist eine Kurzgeschichte, die von James Joyce geschrieben und 1914 veröffentlicht wurde. Es ist die siebte Geschichte in James Joyces Buch ” Dubliner “.

James Joyces Kurzgeschichte „ Die Familienpension “ erzählt die Geschichte der neunzehnjährigen Polly, die zusammen mit ihrem Bruder Jack in der Pension ihrer Mutter, Mrs. Mooney, arbeitet. Das Boardinghouse wird von einem männlichen Publikum frequentiert, das sich hauptsächlich aus Künstlern zusammensetzt. Polly verliebt sich in einen Kunden…

 

Unten können Sie die ins Deutsche übersetzte geschichte „ Die Familienpension “ buch ” Dubliner ” von James Joyce lesen.

Die englische Originalversion von James Joyces geschichte ” Die Familienpension ” (auf Englisch: The Boarding House ) können Sie hier lesen.

Sie können James Joyces Kurz geschichte ” Die Familienpension ” (auf Englisch: The Boarding House ) buch “Dubliner” lesen, die in andere Sprachen übersetzt wurde: Italienisch, Spanisch, Französisch, Chinesisch usw. durch Auswahl der Sprache im oberen oder seitlichen Menü.

 

 Inhaltsverzeichnis der James Joyce 

“Dubliner” (Dubliners) Buchsammlung:

(mit Links, wo Sie sie auf Yeyebook lesen können)

 

Die Schwestern (The sisters)

Eine Begegnung (An Encounter)

Arabia (Araby)

Eveline

Nach dem Rennen (After the Race)

Zwei Kavaliere (Two Gallants)

Die Pension (The Boarding House) 

Eine kleine Wolke (A little Cloud)

Entsprechungen – Gegner (Counterparts)

Erde (Clay)

Ein betrüblicher Fall (A Painful Case)

Efeutag im Sitzungszimmer (Ivy Day in the Committee Room)

Eine Mutter (A Mother)

Gnade (Grace)

Die Toten (The dead)

Gute Lektüre.

 

James Joyce Alle geschichten > hier

 

– James Joyce –

Dubliner

geschichte

Die Familienpension

( The Boarding House )

 

Volltext der Geschichte

ins Deutsche übersetzt

 

          Frau Mooney war eines Metzgers Tochter. Sie war eine Frau, die sehr gut was für sich behalten konnte: eine entschlossene Frau. Sie hatte den ersten Gesellen ihres Vaters geheiratet und in der Nähe von Spring Gardens eine Metzgerei eröffnet.

Aber kaum war sein Schwiegervater tot, als Herr Mooney zu bummeln anfing. Er trank, plünderte die Ladenkasse und machte gehörig Schulden. Es hatte gar keinen Zweck, ihm ein Versprechen abzunehmen: ein paar Tage später ging’s ganz sicher wieder los.

Er ruinierte sein Geschäft, weil er sich in Gegenwart von Kunden mit seiner Frau prügelte und schlechtes Fleisch verkaufte. Eines Abends ging er mit dem Hackbeil auf seine Frau los, und sie mußte im Nachbarhause schlafen.

 

Danach lebten sie getrennt. Sie ging zum Priester und erwirkte eine Trennung von ihm, die Kinder wurden ihr zugesprochen. Sie wollte ihm weder Geld noch Nahrung noch Wohnung geben; und so mußte er beim Sheriff Beschäftigung suchen.

Er war ein schäbiger, krummer, kleiner Säufer mit weißem Gesicht, weißem Schnurrbart und weißen Augenbrauen, die wie Bleistiftstriche über seinen kleinen, rotgeäderten, entzündeten Augen lagen; den ganzen Tag über saß er im Bureau des Amtmanns und wartete darauf, daß er was zu tun bekäme.

 

Frau Mooney, die den Rest ihres Geldes aus der Metzgerei gezogen und in der Hardwicke Street eine Familienpension aufgemacht hatte, war eine große, imponierende Frau. In ihrem Haus stiegen viele Passanten ab, Touristen aus Liverpool und von der Insel Man, gelegentlich aber auch Künstler aus der Music Hall. Ihre Stammkundschaft bestand aus städtischen Beamten.

Geschickt und mit fester Hand regierte sie das Haus, wußte, wann sie Kredit geben durfte, wann sie streng sein mußte und wann sie die Dinge laufen lassen konnte wie sie liefen. Alle jungen Pensionäre sprachen von ihr als der Madame.

 

Frau Mooneys Pensionäre zahlten für Kost und Logis fünfzehn Shilling wöchentlich. Bier oder Stout bei Tisch extra. Sie hatten alle den gleichen Geschmack, die gleichen Beschäftigungen und aus diesem Grunde vertrugen sie sich alle gut. Sie besprachen miteinander die Chancen von Favo-riten und Outsidern.

Jack Mooney, Madames Sohn, der bei einem Kommissionsagenten in der Fleet Street in Stellung war, galt für nicht ganz leicht. Gerne gebrauchte er solda-tische, obszöne Ausdrücke: gewöhnlich kam er erst früh-morgens nach Hause.

 

Wenn er seine Freunde traf, hatte er ihnen immer eine saftige Geschichte zu erzählen und einen guten Tip zur Hand, daß heißt: ein Pferd, das gewinnen würde, oder einen Künstler, den man unbedingt sehen mußte.

Er war auch schnell mit den Fäusten bei der Hand und sang komische Lieder. Sonntag abends versammelte man sich oft in Frau Mooneys vorderem Salon. Die Künstler aus der Music Hall gaben was zum besten; und Sheridan spielte Walzer und Polkas und improvisierte Begleitungen.

Polly Mooney, Madames Tochter, sang dann auch. Sie sang:

 

Ich bin … ein böses Mädchen,

Des schämt euch nicht!

Ich bin’s nun mal.

 

Polly war ein schmächtiges Mädchen von neunzehn Jahren; sie hatte helles, weiches Haar und einen kleinen, vollen Mund. Ihre grauen, leicht ins Grünliche spielenden Augen sahen gewöhnlich in die Höhe, wenn sie mit jemandem sprach, wodurch sie wie eine kleine, perverse Madonna aussah.

Frau Mooney hatte ihre Tochter zuerst als Tipp-fräulein in das Bureau eines Getreidehändlers geschickt, als aber ein schlecht beleumundeter Beamter des Sheriffs jeden zweiten Tag ins Bureau kam und um die Erlaubnis bat, mit seiner Tochter ein Wort sprechen zu dürfen, hatte sie ihre Tochter wieder ins Haus genommen und im Haushalt beschäftigt.

Da Polly sehr lebhaft war, sollte sie sich mit den jungen Leuten befassen. Außerdem haben junge Leute gern ein junges Mädchen in ihrer Nähe. Polly flirtete natürlich mit den jungen Leuten, aber Frau Mooney, die eine scharfe Beobachterin war, merkte wohl, daß die jungen Leute sich nur die Zeit mit ihr vertrieben. Keiner von ihnen biß an.

 

So ging das eine ganze Weile, und Frau Mooney dachte schon daran, Polly wieder an die Schreibmaschine zu schik-ken, als sie merkte, daß sich zwischen Polly und einem der jungen Leute etwas anbahnte. Sie beobachtete das Paar und hielt sich ganz still.

Polly wußte, daß sie beobachtet wurde, aber das hartnäckige Schweigen ihrer Mutter war nicht mißzuverstehen.

Zwischen Mutter und Tochter hatte keine offene Mitschuld, kein offenes Einvernehmen bestanden, und obwohl die Leute im Hause von der Sache zu sprechen anfingen, griff Frau Mooney doch nicht ein.

Polly wurde wohl ein bißchen seltsam in ihrem Benehmen, und der junge Mann war augenscheinlich beunruhigt. Schließlich aber griff Frau Mooney, als sie den Augenblick für gekommen hielt, ein.

 

Sie ging mit moralischen Problemen um wie das Hackbeil mit dem Fleisch: und in diesem Falle wußte sie genau, was sie wollte.

Es war ein heller, Hitze versprechender Sonntagmorgen im Frühsommer, eine leichte Brise wehte. Alle Fenster der Pension standen offen, und die Spitzenvorhänge bauschten sich unter den hochgeschobenen Rahmen leicht nach der Straße hin.

Vom Turm der Georgs Kirche klang dauerndes Geläute, und Gläubige gingen einzeln oder in Gruppen quer über den kleinen, kreisrunden Platz vor der Kirche, zeigten ihr Vorhaben sowohl durch ihr beherrschtes Benehmen als auch durch die kleinen Bücher in ihren behandschuhten Händen.

 

In der Pension war das Frühstück vorüber; der Tisch des Frühstückszimmers stand voll Geschirr, auf dem Eigelbspuren neben Kanten von Schinkenspeck und Speckschwarten lagen. Frau Mooney saß in ihrem Rohrsessel und beobachtete das Dienstmädchen Mary, die das Früh-stückgeschirr abräumte.

Sie ließ Mary die Krusten und die Brotstücke einsammeln, die für den Dienstag-Brot-Pudding verwandt werden sollten. Als der Tisch abgeräumt, das Brot eingesammelt, Butter und Zucker hinter Schloß und Riegel waren, durchdachte sie noch einmal die Unterredung, die sie am Abend vorher mit Polly gehabt hatte.

 

Die Sache war so, wie sie vermutet hatte: sie hatte ganz ohne Scheu gefragt, und Polly hatte ebenso frei geantwortet. Beide waren natürlich etwas verlegen gewesen.

Sie war verlegen gewesen, weil sie das, was sie nun erfuhr, nicht zu freundlich aufnehmen oder gar den Anschein des geheimen Einver-ständnisses erwecken wollte, und Polly war verlegen gewesen, nicht nur weil solche Anspielungen sie immer verlegen machten, sondern weil man auch nicht glauben sollte, sie hätte in ihrer klugen Unschuld hinter der Toleranz ihrer Mutter die Absicht erraten.

Instinktiv sah Frau Mooney auf die kleine, vergoldete Uhr auf dem Kamin, als sie durch ihre Träumerei hindurch merkte, daß die Glocken der Georgs Kirche nicht mehr läuteten. Es war siebzehn Minuten nach elf; so hätte sie Zeit genug, die Sache mit Herrn Doran zu besprechen und konnte Punkt 12 in der Malbourough Street sein.

 

Sie war des Sieges sicher. Zuerst mal hatte sie das ganze Gewicht der öffentlichen Meinung für sich: sie war eine schwer beleidigte Mutter. Sie hatte ihn unter ihrem Dach wohnen lassen, weil sie annahm, er sei ein Ehrenmann, und er hatte ganz einfach ihre Gastfreundschaft mißbraucht.

Er war vierunddreißig oder fünfunddreißig Jahre alt, so daß Jugend für ihn nicht als Entschuldigung angeführt werden konnte; auch konnte Unwissenheit nicht als Entschuldigung gelten, denn er war ein Mann, der von der Welt was gesehen hatte.

 

Er hatte ganz einfach Pollys Jugend und Un-erfahrenheit mißbraucht: das war evident. Die Frage war nur: Wie würde er das wiedergutmachen?

Und in einem solchen Falle war Wiedergutmachung unbedingt erforderlich. Für den Mann ist das alles sehr leicht: er kann seiner Wege gehen, als wenn nichts passiert wäre, nachdem er seinen Spaß gehabt hat, aber das Mädchen hat drunter zu leiden.

Manche Mütter würden sicher gerne eine solche Geschichte für eine Geldsumme vergessen. Sie kannte solche Fälle. Aber das wollte sie nicht. Für sie konnte nur durch eins der Verlust der Ehre ihrer Tochter wiedergutgemacht werden: Heirat.

 

Sie zählte noch einmal alle ihre Trümpfe, bevor sie Mary in Herrn Dorans Zimmer schickte, ihm zu bestellen, sie wünsche ihn zu sprechen. Sie fühlte ganz bestimmt, daß sie siegen würde. Er war ein ernster, junger Mann, war nicht leichtfertig und laut wie die andern.

Hätte es sich um Herrn Sheridan oder Herrn Meyde oder Bantam Lyons gehandelt, ihre Aufgabe wäre viel schwieriger gewesen. Sie glaubte nicht, daß er es auf einen Skandal ankommen lassen würde.

Alle Bewohner des Hauses wußten von der Geschichte; Einzelheiten waren von einigen dazu erfunden worden. Außerdem war er seit dreizehn Jahren auf dem Bureau eines großen katholischen Weinhändlers tätig, und ein Skandal bedeutete für ihn vielleicht den Verlust seiner Stelle.

Wenn er aber zustimmte, konnte alles gut werden. Sie wußte, daß er eine gute Stelle hatte, und vermutete, daß er was auf die hohe Kante gelegt hatte.

Fast halb! Sie stand auf und besah sich im Spiegel. Der entschlossene Ausdruck ihres großen, blühenden Gesichtes befriedigte sie, und sie dachte an einige Mütter aus ihrem Bekanntenkreis, die ihre Töchter nicht loswerden konnten.

 

Herr Doran war an diesem Sonntagmorgen in der Tat sehr aufgeregt. Er hatte schon zweimal versucht, sich zu rasieren, aber seine Hand war so unsicher gewesen, daß er hatte aufhören müssen. Ein dreitägiger, rötlicher Bart umrahmte seine Kiefer, und alle zwei oder drei Minuten beschlugen seine Gläser, so daß er sie abnehmen und mit dem Taschentuch abputzen mußte.

Die Erinnerung an seine Beichte vom Vorabend war für ihn die Ursache beißender Qual; der Priester hatte jede lächerliche Kleinigkeit der Angelegenheit herausgeholt und schließlich seine Sünde als so groß dargestellt, daß er schon dankbar war, als ihm eine Gelegenheit zur Wiedergutmachung gegeben wurde. Der Schaden war nun einmal geschehen.

 

Was konnte er jetzt anders tun als sie heiraten oder fortlaufen? Einfach das Gegenteil behaupten, war unmöglich. Die Sache wurde sicher ruchbar, und auch sein Brotherr würde davon erfahren. Dublin ist ja so klein: jeder weiß, was der andere tut.

Er fühlte, wie ihm das Herz im Halse schlug, als er in seiner aufgeregten Phantasie den alten Herrn Leonhard mit der krächzenden Stimme schreien hörte: Rufen Sie bitte mal Herrn Doran rauf!

 

Alle seine langen Dienstjahre umsonst! Aller Eifer, aller Fleiß für die Katz! Als Jüngling hatte er natürlich über die Stränge geschlagen; er hatte sich seines Freidenkertums ge-rühmt und in Wirtshäusern seinen Freunden gegenüber die Existenz Gottes geleugnet.

Aber das war jetzt alles vorbei oder doch beinahe. Wohl kaufte er noch jede Woche eine Nummer von Reynold’s Newspaper, aber er versäumte seine religiösen Pflichten nicht und führte neun Zehntel des Jahres ein sehr regelmäßiges Leben.

Er hatte Geld genug, einen Haushalt zu gründen; das war es nicht. Aber die Familie würde auf sie herabblicken. Zuerst war da ihr übel beleumundeter Vater, und dann hatte die Pension ihrer Mutter allmählich einen gewissen Ruf bekommen. Er hatte so das Gefühl, daß man ihn reinlegen wollte.

Er konnte sich seine Freunde vorstellen, wie sie über die Sache sprachen und lachten. Sie war ein bißchen gewöhnlich; manchmal machte sie beim Sprechen grammatische Fehler. Aber was kümmerte ihn die Grammatik, wenn er sie wirklich liebte.

 

Er konnte sich nicht entschließen, sie wegen des Vorge-fallenen zu lieben oder zu verachten. Natürlich hatte er es auch getan. Sein Instinkt trieb ihn, frei zu bleiben, nicht zu heiraten. Ist man erst mal verheiratet, dann ist’s vorbei.

Während er hilflos in Hemd und Hose auf der Bettkante saß, klopfte sie leise an seine Tür und trat ein. Sie erzählte Ihm alles, daß sie ihrer Mutter alles gebeichtet hätte, daß ihre Mutter heute morgen mit ihm sprechen würde. Sie weinte, schlang ihre Arme um seinen Hals und sagte:

»O Bob! Bob! Was soll ich tun? Was soll ich nur tun?«

Sie wollte sich das Leben nehmen, sagte sie.

Er tröstete sie schwach, sagte ihr, sie solle nicht weinen, es würde noch alles gut, sie solle keine Angst haben. Er fühlte, wie ihre Brust gegen sein Hemd wogte.

 

Was passiert war, war nicht so ganz seine Schuld. Mit dem seltsam geduldigen Gedächtnis der Junggesellen erinnerte er sich der ersten zufälligen Liebkosungen durch ihr Kleid, ihren Atem, ihre Finger. Dann hatte sie eines Abends spät, als er sich auszog, schüchtern an seine Tür geklopft.

Sie wollte ihre Kerze an der seinen wieder anzünden, denn ein Windstoß hatte ihre ausgeblasen. Es war der Abend, an dem sie immer badete. Sie trug eine lose, offene Frisierjacke aus bedrucktem Flanell.

Ihr weißer Spann leuchtete im Ausschnitt ihrer mit Pelz besetzten Pantoffeln, und warm glühte das Blut hinter ihrer duftenden Haut. Als sie ihre Kerze anzündete und fester in den Halter drückte, strömte auch von ihren Händen und Handgelenken schwacher Duft.

 

An den Abenden, an denen er sehr spät nach Hause kam, wärmte sie für ihn das Abendessen auf. Er merkte kaum, was er aß, wenn er sie so allein neben sich fühlte, nachts, in dem schlafenden Hause.

Und an alles dachte sie! War die Nacht irgendwie kalt oder feucht oder windig, dann stand ganz sicher ein kleiner Krug Punsch für ihn bereit. Vielleicht konnten sie miteinander glücklich werden

 

Auf den Zehen gingen sie zusammen hinauf, jedes mit einer Kerze, wechselten auf dem dritten Treppenabsatz zögernd einen Gutenachtgruß. Sie küßten sich. Er erinnerte sich gut ihrer Augen, der Berührung ihrer Hand und seines Rausches … Aber der Rausch vergeht.

Er wiederholte ihren Satz, wandte ihn auf sich selbst an: Was soll ich tun? Der Instinkt des Junggesellen warnte ihn, auf der Hut zu sein. Aber die Sünde war da; sein Gefühl für Ehre sagte ihm, daß eine solche Sünde wiedergutgemacht werden müßte.

 

Während er mit ihr auf dem Bettrand saß, kam Mary an die Tür und sagte, die gnädige Frau wünsche ihn im Wohnzimmer zu sprechen. Er stand auf, zog Rock und Weste an, war hilfloser als je. Als er angezogen war, ging er hin zu ihr, sie zu trösten. Alles würde schon gut werden, nur keine Angst.

Er ließ sie weinend und leise O, mein Gott seufzend, auf dem Bett zurück. Während er die Treppe hinunterging, beschlug seine Brille so, daß er sie abnehmen und putzen mußte. Am liebsten wäre er durch das Dach in ein anderes Land geflogen, wo er nie wieder von seiner Sorge gehört hätte, und doch trieb ihn eine Gewalt hinab, Stufe um Stufe.

Die unversöhnlichen Gesichter seines Brotherrn und der Madame sahen starr auf seine Not. Auf der letzten Treppe ging er an Jack Mooney vorbei, der aus der Speise-kammer kam und zwei Flaschen Bass an die Brust drückte.

 

Sie grüßten einander kühl; und die Augen des Liebhabers hafteten eine oder zwei Sekunden auf einem dicken Bull-doggengesicht und einem Paar dicker, kurzer Arme. Als er den Fuß der Treppe erreichte, blickte er hinauf und sah, wie Jack Ihn von der Tür des hinteren Zimmers aus beobachtete.

Plötzlich dachte er an den Abend, an dem einer der Künstler aus der Music Hall, ein kleiner, blonder Londoner, eine ziemlich freie Anspielung auf Polly gemacht hatte. Die Gesellschaft wäre wegen Jacks Heftigkeit beinahe aufgeflogen.

Jeder versuchte, ihn zu beruhigen. Der Music-Hall-Künstler, der ein bißchen blasser geworden war, lächelte dauernd und sagte, so schlimm wäre es nicht gemeint: aber Jack brülte ihn weiter an, daß er dem, der sich so was mit seiner Schwester erlaubte, todsicher die Zähne einschlagen würde.

Weinend saß Polly kurze Zeit auf dem Bettrande. Dann trocknete sie sich die Augen und ging hinüber zum Spiegel.

 

Sie tauchte den Zipfel des Handtuches in die Wasserkanne und erfrischte ihre Augen mit dem kühlen Wasser. Sie besah sich im Profil und steckte über dem Ohr eine Haarnadel zurecht. Dann ging sie wieder zurück an das Bett und setzte sich ans Fußende.

Lange betrachtete sie die Kissen, und ihr Anblick erweckte in ihr geheime, liebe Erinnerungen. Sie lehnte den Nacken gegen das kühle, eiserne Bettgestell und verfiel in Träumerei. Auf ihrem Gesicht war von Aufregung nichts mehr zu sehen.

 

Sie wartete geduldig, fast fröhlich, ohne Aufregung, ihre Erinnerungen machten al mählich Hoffnungen und Visionen der Zukunft Platz. Ihre Hoffnungen und Visionen waren so sehr verwickelt, daß sie die weißen Kissen, auf die ihr Blick geheftet war, nicht länger sah, sich nicht erinnerte, daß sie auf etwas wartete.

Schließlich hörte sie ihre Mutter rufen. Sie sprang auf die Füße und lief an das Geländer.

»Polly! Polly!«

»Ja, Mama!«

»Komm runter, Liebling. Herr Doran möchte mit dir sprechen.«

Da fiel ihr auf einmal ein, worauf sie gewartet hatte.

..

.

James Joyce Geschichte Die Familienpension

auf Englisch: The Boarding House

Buch: Dubliner (en: Dubliners – 1914)

Geschichten – Irische Literatur

Voller text ins Deutsche übersetzt

 

James Joyce The Boarding House Englische Originalversion > hier

 

 

James Joyce Alle geschichten > hier

 

 

– James Joyce –

James Joyce (* 2. Februar 1882 in Rathgar, Dublin, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland; † 13. Januar 1941 in Zürich) war ein irischer Schriftsteller.

James Joyce er gilt als einer der wichtigsten Vertreter der literarischen Moderne, und gilt als einer der besten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, auch wenn seine literarische Produktion nicht sehr groß ist.

 

 

www.yeyebook.com

 

Das könnte dich auch interessieren …