ISAAC ASIMOV Text Geschichte SALLY ins Deutsche übersetzt AI

 

Isaac Asimov

Asimov – Geschichten über künstliche Intelligenz – AI

 Isaac Asimov
 Sally

(Originaltitel: Sally )

(1953)

 

Asimov – Science-Fiction-Geschichte

Volltext ins Deutsche übersetzt

Fantastische amerikanische Literatur

 

Die Geschichte von Isaac Asimov “ Sally ”, die 1953 veröffentlicht wurde, behandelte bereits das Thema der automatisierten Autos und der künstlichen Intelligenz, die heute so aktuell sind.

Sally ist ein intelligentes Auto, bewusst und mit einer ganz eigenen Persönlichkeit. Zusammen mit anderen Autos befindet sie sich in dem, was wie ein Altersheim aussieht, das von Jack geleitet wird. Jack Dieser erhält das Angebot von Herrn Gellhorn, einem Geschäftsmann, das Gehirn der Autos zu verkaufen, die zu seinen Freunden geworden sind…

Die Originalität dieser Geschichte liegt darin, Autos als echte Personen zu betrachten und sie daher als eigenständige Charaktere zu sehen. Sie haben unterschiedliche Persönlichkeiten und einen erkennbaren Charakter.

 

Unten können Sie den Text von Isaac Asimovs Kurzgeschichte ” Sally ” lesen, der ins Deutsche übersetzt wurde.

Die englische Originalversion der Geschichte von Isaac Asimov ” Sally ” finden Sie auf yeyebook, indem Sie hier klicken.

Im Menü oben oder unten finden Sie die Geschichte von Isaac Asimov: “ Sally ”, übersetzt in andere Sprachen: Französisch, Italienisch, Spanisch, Chinesisch usw.

Gute Lektüre und Gute Sally .

 

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 Isaac Asimov

 Sally

 

Geschichte über künstliche Intelligenz

Text ins Deutsche übersetzt

 

          Sally kam die Seestraße herab, und ich winkte ihr zu und rief ihren Namen. Ich mochte Sally sehr gern. Ich mochte natürlich viele sehr gern, aber Sally war die hübscheste, ohne Frage. Sie begann sich etwas schneller zu bewegen, als sie mich entdeckte.

Nichts Würdeloses lag darin, das gab es gar nicht bei ihr. Sie bewegte sich nur ganz einfach schneller, weil sie ausdrücken wollte, daß sie sich eben so sehr freute, mich zu sehen.

Ich wandte mich dem Mann zu, der neben mir stand.

»Das ist Sally«, sagte ich.

Er lächelte und nickte.

Mrs. Hester hatte ihn zu mir geführt.

 

»Das ist Mr. Gellhorn, Jake«, hatte sie gesagt. »Sie erinnern sich doch an seinen Brief, in dem er Sie um eine Verabredung bat.«

Das war natürlich nur Gerede. Ich habe tausend Dinge auf der Farm zu tun, und ich kann wirklich nicht meine Zeit damit vergeuden, die Post zu lesen. Dafür habe ich Mrs. Hester. Sie hält mir den täglichen Kleinkram vom Leib, belästigt mich nicht mit allem möglichen Unsinn, und was das Wichtigste ist, sie mag Sally und all die anderen. Einige Leute tun das nicht.

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Mr. Gellhorn«, sagte ich.

»Raymond J. Gellhorn«, stellte er sich vor und reichte mir die Hand.

Er war einen halben Kopf größer als ich und auch breiter. Er war ungefähr halb so alt wie ich. Sein schwarzes Haar war durch einen Mittelscheitel geteilt und glatt an den Kopf gekämmt, und ein dünner, sorgfältig gestutzter Schnurrbart zierte seine Oberlippe.

Seine breiten Kinnbacken gaben ihm ein Aussehen, als leide er ständig an Mumps. Im Fernsehen hätte er einen prima Schurken abgegeben, und deshalb beschloß ich sofort, ihn für einen netten Kerl zu halten, wenn man wirklich einer ist.

 

»Ich heiße Jacob Folker«, sagte ich. »Was kann ich für Sie tun?«

Er grinste breit und enthüllte seine strahlend weißen Zähne.

»Sie könnten mir ein bißchen etwas über die Farm hier erzählen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
Ich hörte Sallys Räder hinter mir und streckte die Hand aus. Sie glitt direkt hinein, und ich fühlte den glatten Lack ihres Kotflügels warm auf meiner Handfläche.

»Ein hübsches Auto«, sagte Gellhorn.

So kann man es auch nennen. Sally war ein 2044 Kabriolett mit einem Hennis-Carlton-

Elektronenmotor und einem Armat-Fahrgestell. Sie besaß die schönsten, feinsten Konturen, die ich je bei einem Modell gesehen hatte.

Seit fünf Jahren war sie schon mein Liebling, und sie verkörperte alle meine Träume. Und in all der

Zeit hatte nie ein menschliches Wesen hinter ihrem Lenkrad gesessen.

Niemals.

 

»Sally«, sagte ich und tätschelte sie sanft, »das ist Mr. Gellhorn.«

Sally ließ den Motor kurz aufheulen. Sorgfältig lauschte ich, ob ich vielleicht ein ungewohntes Rattern feststellen konnte. Schließlich hörte man eines Tages ja in allen Autos ungewohnte Geräusche, und es nutzt gar nichts mehr, wenn man dann die Benzinmarke wechselt. Aber Sallys Motor klang geschmeidig wie immer.

»Haben Sie für alle Ihre Autos Namen?« fragte Gellhorn. Seine Stimme klang etwas amüsiert. Sie hatte genau den Tonfall, den Mrs. Hesters nicht leiden konnte. Sie mochte es nicht, wenn man sich über die Farm lustig machte.

Scharf sagte sie: »Sicher. Die Autos sind ausgeprägte Persönlichkeiten, nicht wahr, Jake? Die Limousinen sind männlich und die Kabrioletts weiblich.«

»Halten Sie sie auch in getrennten Garagen, Madam?« fragte Gellhorn lächelnd.
Mrs. Hesters starrte ihn wütend an.

»Könnte ich vielleicht mit Ihnen allein sprechen, Mr. Folker?« wandte sich Gellhorn an mich.

»Das hängt von verschiedenen Umständen ab. Sind Sie Reporter?«

»Nein, Sir. Ich bin Handelsvertreter. Nichts von unserem Gespräch wird an die Öffentlichkeit dringen. Ich kann Ihnen versichern, daß ich aus einem rein privaten Grund zu Ihnen gekommen bin.«

 

»Gehen wir ein Stück die Straße hinunter. Unten ist eine Bank, da können wir uns unterhalten.« Wir machten uns auf den Weg, Mrs. Hesters entfernte sich, und Sally fuhr leise hinter uns her.

»Macht es Ihnen etwas aus, wenn Sally mitkommt?« fragte ich.

»Keineswegs. Sie kann ja nicht ausplaudern, worüber wir sprechen, nicht wahr?« Er lachte schallend über seinen Witz und streichelte Sallys Kühlergrill.

Sallys Motor kreischte auf, und Gellhorn zog seine Hand schnell zurück.

»Sie ist an Fremde nicht gewöhnt«, erklärte ich.

Wir nahmen auf der Bank unter der großen Eiche Platz. Am anderen Ufer
des kleinen Sees konnten wir die Rennbahn sehen. Es war ein warmer Tag, und alle Autos waren draußen.

Mindestens dreißig. Sogar aus dieser Entfernung konnte ich sehen, daß Jeremiah sein übliches Kunststück vollführte. Er schlich sich an irgendein älteres, gesetztes Modell von hinten heran, dann ruckte er blitzschnell nach vorn und raste mit quietschenden Reifen vorbei.

Vor zwei Wochen hatte er den alten Angus vom Asphalt gedrängt. Zur Strafe hatte ich Jeremiah für zwei Tage den Motor herausgenommen.

 

Aber ich fürchte, das hat nichts genützt. Jeremiah ist eben ein Sportmodell und sehr heißblütig.

»Also, Mr. Gellhorn«, begann ich, »was wollen Sie alles wissen?«
Er blickte sich um.

»Sehr erstaunlich, Mr. Folker.«

»Nennen Sie mich bitte Jake. Das tut jeder hier.«

»Okay, Jake. Wie viele Autos haben Sie hier?«

»Einundfünfzig. Jedes Jahr bekommen wir ein oder zwei neue. In einem Jahr waren es sogar fünf. Bis jetzt haben wir noch keines verloren. Sie sind alle in bester Verfassung. Wir haben sogar ein 15er Mat-O-Mot-Modell, das immer noch läuft, eine der ersten Automatics.«

Guter, alter Matthew. Jetzt stand er fast den ganzen Tag in der Garage. Er war der Großvater aller Autos mit Elektronenmotor. In seiner Jugendzeit hatten nur blinde Kriegsveteranen, Gelähmte und Regierungsmitglieder Automatics gefahren.

Aber Samson Harridge, mein damaliger Boß, war schon zu dieser Zeit reich genug gewesen, um sich eine Automatic zu leisten. Damals war ich sein Chauffeur gewesen.

 

Asimov – Sally

 

Bei diesen Gedanken kam ich mir uralt vor. Ich kann mich noch an die Zeiten erinnern, wo es auf der ganzen Welt kein Auto gab, das Verstand genug hatte, seinen Weg allein zu finden. Ich hatte tote Maschinen gelenkt, die die ständige Kontrolle des Menschen brauchten. Jedes Jahr hatten solche Maschinen Zehntausende von Menschen getötet.

Die Automatics hatten das abgeschafft. Ein Elektronengehirn kann viel schneller reagieren als ein Menschenhirn. Keine Menschenhand muß mehr lenkend eingreifen. Man setzt sich hinein, stanzt den Bestimmungsort in die Lochkarte, steckt diese in einen Schlitz, und das Auto findet seinen Weg.

Heute erscheint uns das alles selbstverständlich, aber ich kann mich noch an die Zeiten erinnern, als die Gesetze die alten Maschinen auf die Straßen zwangen und nur eine begrenzte Anzahl von Automatics zuließen.

 

Gott, was für ein Unsinn! Sie bekämpften die Automatics, nannten sie je nach Standort Ausgeburten des Kommunismus oder Faschismus. Aber als die Straßen leerer wurden und es immer weniger tödliche Autounfälle gab, setzten sich die Automatics schließlich durch.

Natürlich, die Automatics waren hundertmal so teuer wie die alten, handgelenkten Autos, und nur wenige Leute konnten sich ein solches Privatfahrzeug leisten. Die Industrie spezialisierte sich auf OmnibusAutomatics.

Man konnte die Firma anrufen, und innerhalb weniger Minuten stand ein solcher Omnibus vor der Tür und brachte einen, wohin man wollte. Man mußte den Platz natürlich mit anderen Fahrgästen teilen, die zufällig denselben Weg hatten, aber was machte das schon aus?

 

Aber Samson Harridge hatte ein Privatauto, und ich ging zu ihm, als es vom Werk geliefert wurde. Damals hieß das Auto noch nicht Matthew. Ich wußte noch nicht, daß es einmal der Doyen der Farm werden sollte. Ich wußte nur, daß es mir meinen Job wegnahm, und ich haßte es.

»Sie werden mich jetzt wohl nicht mehr brauchen, Mr. Harridge«, sagte ich.

»Was reden Sie denn da, Jake? Sie glauben doch nicht etwa, daß ich mich so einem Apparat anvertraue! Sie bleiben da und lenken das Ding.«

»Aber es fährt doch von allein, Mr. Harridge. Es kann die Straße überblicken, Menschen, Hindernissen und anderen Autos ausweichen, und es weiß immer ganz genau, wohin es fahren soll.«

»Das behauptet man, ich weiß. Trotzdem, Sie sitzen hinter dem Lenkrad. Für den Fall, daß etwas schiefgeht.«

 

Komisch, wie man so ein Auto allmählich liebgewinnt. Bald nannte ich es »Matthew« und verbrachte viel Zeit damit, es zu polieren und zu pflegen.

Das Elektronengehirn einer Automatic kann nur dann fehlerfrei arbeiten, wenn das Fahrgestell in bester Ordnung und der Tank stets gut gefüllt ist.

Nach einer Weile konnte ich schon am Klang des Motors hören, wie Matthew sich fühlte.

Langsam wuchs auch Harridges Zuneigung zu Matthew. Er hatte sonst niemanden, den er gernhaben konnte. Er hatte drei Ehefrauen überlebt oder sich von ihnen scheiden lassen. Ebenso hatte er fünf Kinder und drei Enkel überlebt.

So überraschte es mich also nicht sonderlich, daß er kurz vorseinem Tod seinen Landsitz in eine Farm für ausgediente Autos verwandelte. Ich avancierte zum Leiter dieser Farm, und Matthew war der erste der vornehmen Bewohner.

 

Ich weihte mein Leben der Farm, Ich heiratete nie. Man kann nicht verheiratet sein und gleichzeitig den Automatics die Pflege zukommen lassen, die sie brauchen.

Die Zeitungsreporter hielten mich für verrückt, aber mit der Zeit hörten sie auf, sich über mich lustig zu machen.

Vielleicht konnten Sie sich bisher noch keine Automatics leisten und vielleicht werden Sie auch niemals in der Lage dazu sein, aber glauben Sie mir: An meiner Stelle hätten Sie diese Geschöpfe auch liebgewonnen. Sie sind so zutraulich und herzlich.

Nur ein Mann ohne Herz und Gefühl kann sie mißhandeln oder zusehen, wie sie mißhandelt werden.

Nach einiger Zeit wurde es Brauch, daß jeder Besitzer einer Automatic sich rechtzeitig um einen Platz auf der Farm kümmerte, wo sein Liebling seine alten Tage fristen konnte. Natürlich nur, wenn er keine Erben hatte, die die Automatic in sorgsame Obhut nehmen würden.

 

Asimov – Sally

 

Das alles erklärte ich Gellhorn.

»Einundfünfzig Autos!« sagte er. »Das stellt einen ganz schönen Wert dar.«

»Mindestens fünfzigtausend für jedes Auto. Das ist aber nur der Kaufpreis. Heute sind sie noch viel wertvoller. Ich habe viel für sie getan.«

»Es muß viel Geld kosten, die Farm zu erhalten.«

»Da haben Sie recht. Die Farm ist eine gemeinnützige Organisation. Deshalb müssen wir keine Steuer zahlen. Und mit jedem Neuling kommt eine ganz schöne Stange Geld herein. Aber trotzdem steigen die Kosten ständig. Ich muß die Landschaft instand halten, den Asphalt ständig erneuern und die alten Autos reparieren. Dazu kommen Benzin, Öl und Ersatzteile. Das summiert sich.«

»Und Sie haben eine Menge Zeit dafür geopfert.«

»Sicher, Mr. Gellhorn. Dreiunddreißig Jahre.«

»Sie haben aber keinen großen Gewinn dabei gehabt.«

»Keinen Gewinn? Sie überraschen mich, Mr. Gellhorn. Ich habe Sally und fünfzig andere. Sehen Sie sie doch an!«

 

Ich mußte grinsen. Ich konnte nicht anders. Sally war immer so reinlich.

Wenn irgendein Insekt gegen ihre Windschutzscheibe geschlagen war oder irgendwo ein winziger Staubfleck zu sehen war, so machte sie sich schon an die Arbeit. Und so schoß auch jetzt eine kleine Röhre aus ihr und spritzte Tergosol über die Glasscheibe.

Rasch verteilte sich die Flüssigkeit über den Silikon-Film, die Scheibenwischer fuhren blitzschnell hin und her und trieben die Flüssigkeit in den kleinen Kanal, der sie zum Boden leitete. Kein einziger Wassertropfen zeigte sich auf Sallys spiegelglatter, apfelgrüner Motorhaube. Röhre und Scheibenwischer verschwanden.

 

»Ich habe noch nie gesehen, daß eine Automatic so etwas kann«, sagte Gellhorn.
»Das glaube ich. Ich habe das speziell für unsere Autos entwickelt. Sie sind sehr auf Sauberkeit bedacht. Ständig schrubben sie an ihrem Glas herum.

Für Sally habe ich sogar Düsen zum Einwachsen entwickelt. Sie poliert sich selbst jeden Abend, bis Sie ihren Lack als Rasierspiegel benutzen können. Wenn ich genug Geld zusammengekratzt habe, werde ich das bei den anderen Mädchen auch einbauen. Kabrioletts sind sehr eitel.«

»Ich kann Ihnen sagen, wie sie das Geld zusammenkriegen können. Falls es Sie interessiert.«

»So etwas interessiert mich immer. Wie?«

»Merken Sie das denn nicht selbst, Jake? Jedes Ihrer Autos ist mindestens fünfzigtausend wert, haben Sie gesagt. Ich wette, daß Sie für die meisten sogar sechzigtausend bekommen.«

»So?«

»Haben Sie nie daran gedacht, ein paar zu verkaufen?«

 

Ich schüttelte den Kopf.

»Sie werden es nicht verstehen, Mr. Gellhorn, aber ich kann keines meiner Autos verkaufen. Sie gehören der Farm, nicht mir.«

»Das Geld würde aber doch der Farm zufließen.«

»Die Kooperationspapiere der Farm besagen, daß jedes Auto ständige Pflege zu erhalten hat. Keines von ihnen darf verkauft werden.«

»Und wie steht es mit den Motoren?«

»Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«

 

Gellhorn rückte etwas näher. Seine Stimme klang vertraulich.

»Hören Sie mir einmal zu, Jake. Ich werde Ihnen die Situation erklären. Auf dem Markt herrscht große Nachfrage nach Privatautomatics. Sie müßten eben nur etwas billiger sein. Wissen Sie das?«

»Das ist kein Geheimnis.«

»Und neunundfünfzig Prozent der Gesamtkosten entfallen auf den Motor. Ich weiß, woher wir die übrigen Teile bekommen könnten. Ich weiß auch, wo wir die Automatics zu einem guten Preis verkaufen könnten – zwanzigoder dreißigtausend für die billigeren Modelle, fünfzig- oder sechzigtausend für die besseren. Ichbrauche nur die Motoren. Sehen Sie schon die Lösung unserer Probleme?«

 

»Nein, Mr. Gellhorn.« Ich wußte natürlich, worauf er hinauswollte, aber er sollte es aussprechen.

»Die Sache ist so, Jake. Sie haben einundfünfzig Autos. Siesind ein erfahrener Automechaniker. Sie könnten den Motor aus einem Ihrer Autos ausbauen und ihn in ein anderes einbauen. Niemand würde den Unterschied bemerken.«

»Das wäre nicht besonders moralisch.«

»Sie tun den Autos doch nicht weh. Nehmen Sie die alten Modelle. Zum Beispiel den Mat-O-Mot.«

»Einen Moment, Mr. Gellhorn. Der Motor und das Fahrgestell sind keineswegs zwei verschiedene Dinge. Sie bilden eine Einheit. Jeder Motor gehört zu einem bestimmten Körper. In einem anderen würde er sich nicht wohl fühlen.«

»Ja, das ist ein sehr wichtiger Gesichtspunkt, Jake. Es wäre so, wie wenn man Ihren Verstand aus Ihrem Gehirn herauslöste und ihn in ein anderes einpflanzte, nicht wahr? Das würden Sie doch nicht wollen.«

»Nein, ich glaube nicht.«

»Aber wenn ich nun Ihren Verstand in den Kopf eines jungen Athleten einpflanzen würde? Was würden Sie davon halten, Jake? Sie sind nichtmehr der Jüngste. Wenn Sie die Chance hätten, würden Sie es nicht genießen, noch einmal zwanzig zu sein? Und diese Chance biete ich Ihren Elektromotoren. Sie können in ‘57-Gestelle eingebaut werden. Die allerneueste Konstruktion.«

Ich lachte.

»Das ist doch sinnlos, Mr. Gellhorn. Sicher, einige meiner Autos sind schon sehr alt, aber es wird gut für sie gesorgt. Niemand lenkt sie, sie können herumfahren, wie es ihnen Spaß macht. Sie haben den Dienst quittiert, Mr. Gellhom.

Ich will keinen zwanzigjährigen Körper, wenn ich mich womöglich für den Rest meines neuen Lebens abrackern müßte und nie genug zu essen hätte … Was meinst denn du dazu, Sally?«

 

Asimov – Sally

 

Sally öffnete ihre beiden Türen und schlug sie mit federndem Knall wieder zu.

»Was soll das?«

»Das ist Sallys Art, herzhaft zu lachen.«
Gellhorn zwang sich zu einem Lächeln. Anscheinend glaubte er, ich hätte einen schlechten Witz gemacht.

»Seien Sie doch vernünftig, Jake«, sagte er. »Autos sind dazu da, um gelenkt zu werden. Vielleicht sind sie gar nicht glücklich, wenn Sie sie nie lenken.«

»Sally ist schon seit fünf Jahren nicht mehr gelenkt worden, und ich finde, sie sieht sehr glücklich aus.«

»Das bezweifle ich.« Er stand auf und ging langsam auf Sally zu. »He, Sally! Würde es dir gefallen, wenn ich mich einmal hinter dein Lenkrad setze?«
Sallys Motor kreischte auf. Sie wich zurück.

 

»Quälen Sie sie nicht, Mr. Gellhorn«, sagte ich. »Sie ist ein bißchen scheu.«
Zwei Limousinen hielten etwa hundert Yards entfernt auf der Straße. Sie schienen uns zu beobachten. Ich kümmerte mich nicht um sie. Ich mußte auf Sally achten.

»Ganz ruhig, Sally«, sagte Gellhorn. Er faßte nach dem Türgriff, der sich natürlich nicht herabdrücken ließ.

»Vor einer Minute hat sie doch noch die Türen aufgemacht«, sagte Gellhorn verwundert.

»Sie kann sie automatisch versperren. Sally legt sehr viel Wert auf ihr Privatleben.«
Gellhorn ließ den Türgriff los und sagte ganz langsam und deutlich: »Ein Auto, daß sein Privatleben liebt, sollte aber nicht mit offenem Verdeck herumfahren.«

Er trat drei oder vier Schritte zurück, dann rannte er so blitzschnell vor, daß ich ihn nicht aufhalten konnte, und sprang in den Wagen. Er überrumpelte die verdutzte Sally völlig, denn bevor sie sich wehren konnte, schaltete er den Motor ab.

 

Zum erstenmal seit fünf Jahren war Sallys Motor tot.

Ich schrie auf, aber Gellhorn hatte schon auf »Handbetrieb« geschaltet.
Er ließ den Motor an, und Sally erwachte wieder zum Leben. Aber sie hatte keine Handlungsfreiheit mehr.

Gellhorn fuhr die Straße hinauf. Die Limousinen waren noch immer da.

Sie wendeten und fuhren davon. Nicht sehr schnell. Ich glaube, sie waren ziemlich verwirrt.
Die eine Limousine hieß Giuseppe. Sie stammte aus einer Mailänder Firma. Der Name der anderen lautete Stephen. Die beiden steckten immer zusammen. Sie waren neu auf der Farm, aber immerhin waren sie schon lange genug da, um zu wissen, daß die Autos hier normalerweise nicht gelenkt wurden.

Gellhorn fuhr geradeaus, und als die Limousinen endlich begriffen hatten, daß Sally nicht langsamer fahren würde, nicht langsamer fahren konnte, war es bereits zu spät für sie, um anders als in äußerster Verzweiflung zu reagieren. Sie machten einen Satz zur Seite, jeder nach einer anderen, und Sally sauste zwischen ihnen hindurch.

Stephen raste durch das Straßengeländer und kam auf dem Rasen zum Stehen, kaum sechs Zoll vom Seeufer entfernt. Auf der anderen Straßenseite hielt Giuseppe taumelnd an.

 

Ich hatte Stephen gerade wieder auf die Straße bugsiert und untersuchte, ob er sich verletzt hatte, als Gellhorn zurückkam. Er öffnete Sallys Tür und stieg aus. Dann schaltete er die Zündung ein zweitesmal aus.

»Ich glaube, das hat ihr viel Spaß gemacht«, sagte er.

Ich beherrschte mich mühsam.

»Warum mußten Sie unbedingt zwischen den beiden Limousinen hindurchrasen?«

»Ich erwartete, daß sie ausweichen würden.«

»Das taten sie auch. Und dabei ist eine durch das Geländer gekracht.«

»Es tut mir leid, Jake. Ich dachte, sie würden schneller sein. Sie wissen doch, wie das ist. Ich habe schon in vielen automatischen Bussen gesessen.

 

Aber in einer Privatautomatic bin ich erst zwei- oder dreimal gefahren, und das war soeben das ersten Mal, daß ich eine Automatic lenkte. Es hat mich einfach mitgerissen, Jake. Und dabei bin ich sonst nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Ich sage Ihnen, Jake, wir müssen nicht mehr als zwanzig Prozent unter den Listenpreis gehen. Wir können neunzig Prozent Profit erreichen.«

»Und den würden wir teilen?«

»Fünfzig zu fünfzig. Und vergessen Sie nicht, ich nehme das ganze Risiko auf mich.«

»Also gut. Ich habe Ihnen zugehört. Jetzt werden Sie einmal mir zuhören.« Ich schrie beinahe, denn jetzt war ich zu wütend, um noch länger höflich zu sein. »Wenn Sie Sallys Motor abstellen, tun Sie ihr weh? Würde es Ihnen Spaß machen, bewußtlos geschlagen zu werden? Genau das haben Sie nämlich mit Sally gemacht, als sie den Motor abdrehten.«

 

»Sie übertreiben, Jake. Die automatischen Busse werden jede Nacht abgestellt.«

»Sicher, und deshalb will ich keinen von meinen Jungen oder Mädchen in einem Ihrer großartigen ‘57-Gestelle sehen. Ich kann mir schon ausmalen, wie man sie da behandeln würde. Die Elektronenmotoren der Busse müssen alle paar Jahre repariert werden.

Der Elektronenmotor des alten Matthew ist seit zwanzig Jahren nicht einmal berührt worden. Können Sie ihm etwas Gleichwertiges bieten?«

»Nun, Sie sind jetzt etwas aufgeregt. Vielleicht überlegen Sie sich meinen Vorschlag noch einmal, wenn Sie sich wieder beruhigt haben. Dann können Sie ja mit mir in Verbindung treten.«

»Ich habe mir Ihr unverschämtes Angebot bereits zur Genüge überlegt. Wenn Sie noch einmal hier auftauchen, rufe ich die Polizei.«

Sein Mund verzerrte sich.

»Nun mal langsam, Oldtimer.«

»Sie befinden sich auf Privatgrund. Und ich befehle Ihnen, augenblicklich zu verschwinden!«
Er zuckte mit den Schultern.

»Also dann … Auf Wiedersehen.«

»Sagen Sie lieber ›Auf Nimmerwiedersehens«

Aber es gab doch noch ein Wiedersehen, und zwar zwei Tage später.

 

Asimov – Sally

 

Genauer gesagt, zweieinhalb Tage später. Denn als ich ihm zum erstenmal begegnet war, war es Mittag gewesen, und als ich ihn wiedersah, war es etwas später als Mitternacht.

Ich richtete mich im Bett auf, als er das Licht anknipste, und blinzelte.

Die Situation war ziemlich eindeutig. Er hielt einen Revolver in der rechten Faust, einen dieser widerlichen kleinen Nadelrevolver, die man kaum zwischen den beiden Fingern sehen konnte, die ihn umspannten. Ich wußte, daß er nur den Druck dieser Finger zu verstärken brauchte, um mich ins Jenseits zu befördern.

»Ziehen Sie sich an, Jake«, sagte er.

Ich rührte mich nicht. Ich beobachtete ihn nur.

 

»Hören Sie mal, Jake. Ich kenne die Lage hier. Wie Sie wissen, habe ich Sie vor zwei Tagen besucht. Ich habe mich genau umgesehen. Sie haben keine Wächter hier, keine elektrischen Zäune und keine Alarmanlage. Nichts.«

»So etwas brauche ich nicht«, sagte ich. »Nichts wird Sie aufhalten, wenn Sie verschwinden. Das würde ich an Ihrer Stelle tun. Dieser Ort kann sehr gefährlich werden.«

Er grinste.

»Es ist viel gefährlicher, wenn jemand auf der falschen Seite von einem Revolver steht.«

»Ich sehe, daß Sie so ein Ding in der Hand halten.«

 

»Dann tun Sie gefälligst, was ich Ihnen gesagt habe. Meine Leute warten.«

»Nein, Mr. Gellhorn. Nicht, bevor Sie mir gesagt haben, was Sie von mir wollen. Und dann tue ich es wahrscheinlich noch immer nicht.«

»Ich habe Ihnen vorgestern einen Vorschlag gemacht.«

»Die Antwort lautet nach wie vor ›Nein‹.«

»Heute habe ich Ihnen einen etwas detaillierteren Vorschlag zu machen.
Ich bin mit einigen Männern und einem Automatobus gekommen. Sie haben die Chance, mir zu folgen und fünfundzwanzig Elektronenmotoren auszubauen.

Es ist mir gleichgültig, welche Motoren Sie sich aussuchen. Wir laden sie auf den Bus und bringen sie weg. Wenn sie wieder neu
eingebaut sind, werde ich sehen, daß Sie einen fairen Anteil vom Gewinn bekommen.«

»Ich nehme an, Sie geben mir Ihr Wort darauf.«

Er schien meinen Sarkasmus nicht zu bemerken.

»Sie haben mein Wort«, sagte er.

Ich sagte: »Nein.«

 

»Wenn Sie bei Ihrer Weigerung bleiben, werden wir die Angelegenheit auf unsere Weise erledigen. Ich werde die Motoren selbst ausbauen, und zwar alle einundfünfzig. Jeden einzelnen!«

»Es ist nicht sehr leicht, Elektronenmotoren auszubauen, Mr. Gellhorn.
Haben Sie Erfahrung mit Robotermaschinen? Selbst wenn das zutreffen sollte, vergessen Sie nicht, daß die Elektronenmotoren von mir modifiziert worden sind.«

»Das weiß ich, Jake. Und um die Wahrheit zu sagen, ich bin kein Experte. Es könnte passieren, daß ich ein paar Motoren ruiniere, wenn ich versuche, sie auszubauen. Deshalb müßte ich alle einundfünfzig ausbauen, wenn Sie nicht mit mir zusammenarbeiten.

Vielleicht werden dann von allen einundfünfzig nur fünfundzwanzig gebrauchsfähige übrigbleiben. Die ersten, an denen ich herumbastle, werden vermutlich am meisten zu leiden haben. Bis ich den Dreh heraushabe, verstehen Sie? Und wenn ich mich ohne Ihre Hilfe an die Arbeit machen muß, würde ich mir ganz gern Sally zuerst vornehmen.«

 

»Ich kann nicht glauben, daß Sie das ernst meinen, Mr. Gellhorn.«

»Ich meine es ernst, Jake. Wenn Sie mithelfen, können Sie Sally retten. Andernfalls werde ich ihr sehr weh tun müssen. Es tut mir leid.«

»Ich komme mit Ihnen, aber ich warne Sie nochmals, Mr. Gellhom. Sie werden in Schwierigkeiten kommen.«

 

Das schien ihn zu belustigen. Er grinste vor sich hin, als wir zusammen die Treppe hinabstiegen.
Ein Automatobus wartete vor der Einfahrt zu der Garage. Daneben sah ich die Schatten dreier Männer. Sie hoben ihre Waffen, als wir uns näherten.

»Ich habe den alten Burschen«, sagte Gellhorn leise. »Los! Fahrt den Bus in die Einfahrt! Wir können anfangen.«

 

Einer der Männer kletterte in den Bus und drückte auf einige Knöpfe auf der Schalttafel. Wir gingen die Einfahrt entlang, und der Bus folgte uns.

»Der Bus kann nicht in die Garage fahren. Das Tor ist zu klein. Wir haben nur Privatautomatics hier.«

»Gut«, sagte Gellhorn. »Er soll hier warten. Aber stellt ihn so, daß man ihn von draußen nicht sehen kann.«

Ich konnte schon das Surren der Autos hören, als wir noch zehn Yards von der Garage entfernt waren. Normalerweise beruhigten sie sich, wenn ich eintrat, aber diesmal war das nicht der Fall. Ich glaube, sie spürten, daß Fremde da waren, und als die Gesichter Gellhorns und der anderen sichtbar wurden, verstärkte sich der Motorenlärm.

 

Automatisch leuchteten die Scheinwerfer auf, als wir eintraten. Gellhorn schien der Autolärm nicht zu stören, aber seine drei Begleiter blickten sich überrascht und unbehaglich um. Sie hatten das typische Aussehen von gedungenen Rowdys, den unruhigen, vorsichtigen Blick, die Galgenvogelgesichter. Ich kannte diese Spezies, und ich war nicht sehr besorgt.

»Verdammt, sie verbrennen Gas«, sagte einer der Männer.

»Das tun meine Autos immer«, erwiderte ich steif.

»Aber heute werden Sie es nicht tun«, sagte Gellhorn. »Schalten Sie sie aus!«

»Das ist nicht so leicht, Mr. Gellhorn«, sagte ich.

»Los!« fuhr er mich an. Ich rührte mich nicht. Sein Nadelrevolver richtete sich auf mich.

 

»Ich sagte Ihnen, Mr. Gellhom, daß die Autos gewohnt sind, hier auf der Farm gut behandelt zu werden«, sagte ich. »Jede andere Art der Behandlung lehnen sie ab.«

»Ich gebe Ihnen noch eine Minute Zeit. Halten Sie mir ein anderesmal gelehrte Vorträge.«

»Ich versuche ja nur, Ihnen einiges zu erklären. Ich will Ihnen erklären, daß meine Autos verstehen, was ich zu ihnen sage. Einem Elektronenmotor kann man das mit viel Geduld und Liebe beibringen. Meine Autos haben es gelernt. Sally hat verstanden, was Sie mir vor zwei Tagen vorschlugen.

Sie werden sich vielleicht daran erinnern, daß sie lachte, als ich sie um ihre Meinung fragte. Sie weiß auch, was Sie ihr angetan haben, und auch die beiden Limousinen wissen, daß Sie sie beinahe umgefahren haben. Und der Rest meiner Autos weiß, was man mit unbefugten Eindringlingen im allgemeinen macht.«

»Jetzt hören Sie mal, Sie verdammter alter Narr …«

»Ich muß nur zwei Wörter sagen.« Ich hob meine Stimme. »Packt sie!«

 

Einer der Männer wurde kreidebleich und brüllte auf, aber sein Schrei ging unter im tosenden Lärm von einundfünfzig Hupen, die alle zugleich lostuteten. Ein wildes, metallisches Echo brach sich an den vier Wänden der Garage. Zwei Autos rollten vorwärts, langsam, aber es gab keinen Zweifel über ihr Ziel. Dann folgten die nächsten zwei, und die anderen bewegten sich aus ihren separaten Boxen.

Die Rowdys rissen die Augen auf und wichen zurück.

»Nicht an die Wand!« schrie ich.

Anscheinend hatten sie instinktiv denselben Gedanken, denn sie rasten wie die Wahnsinnigen zur Garagentür.

An der Tür wandte sich einer von Gellhorns Männern um und hob seinen Revolver. Wie ein dünner blauer Blitz fuhr das nadelförmige Geschoß dem ersten Auto entgegen. Es war Giuseppe.

Ein dünner Kratzer zeigte sich im Lack von Giuseppes Motorhaube, und die rechte Hälfte seiner Windschutzscheibe zersplitterte. Aber sie brach nicht heraus.

Die Männer rannten ins Freie, und in Zweierreihen rollten die Autos ihnen nach, hinein in die Nacht, und die Hupen trompeteten angriffslustig.

 

Meine Hand umklammerte Gellhorns Ellbogen, aber ich glaube, er wäre ohnehin nicht imstande gewesen, sich zu bewegen. Seine Lippen zitterten.

»Deshalb brauche ich keine Wächter und keine elektrischen Zäune«, sagte ich. »Meine Autos können sich selbst schützen.«

Gellhorns Blicke glitten entsetzt über die Autos, die paarweise an uns vorbeiglitten.

»Das sind Mörder!« schrie er.

»Seien Sie nicht so blöd! Siewerden Ihre Männer nicht töten.«

»Sie sind Mörder!«

»Sie wollen Ihren Männern nur eine Lektion erteilen. Meine Autos haben ein Spezialtraining für Geländefahrten absolviert. Sie werden ihre Leute verfolgen, wohin sie auch fliehen. Ich glaube, das wird für Ihre Männer viel schlimmer sein als ein schneller, gnädiger Tod. Sind Sie schon einmal vo einem Auto gejagt worden?«

 

Gellhorn antwortete nicht.

»Sie werden wie Schatten sein«, fuhr ich fort, »die sich nicht schneller bewegen als Ihre Männer. Sie werden sie hetzen, ihnen den Weg abschneiden, sie werden auf sie zurasen und in letzter Sekunde mit kreischenden Bremsen und heulendem Motor vor ihnen anhalten.

Und sie werden nicht eher aufhören, als bis Ihre Männer zusammengebrochen sind, atemlos und halbtot darauf warten, daß die Räder über ihre brechenden Knochen rollen. Aber das werden die Autos nicht tun.

Sie werden sich abwenden. Aber Sie können wetten, daß Ihre Männer nie mehr hierher zurückkehren werden. Nicht für alles Geld der Welt. Hören Sie …«

 

Asimov – Sally

 

Noch fester umspannten meine Finger seinen Ellbogen. Er lauschte angestrengt.

»Hören Sie, wie die Autotüren auf- und zuschlagen?«

Das Geräusch drang schwach herüber, aber es war unmißverständlich.

»Sie lachen«, sagte ich. »Es macht ihnen Spaß.«
Sein Gesicht verzerrte sich vor Wut. Er hob die Hand, die immer noch den Nadelrevolver umklammerte.

»Ich würde das nicht tun«, sagte ich. »Eine Automatic ist noch bei uns.«
Ich glaube nicht, daß er Sally vorher schon bemerkt hatte. Ganz still hatte sie sich uns genähert. Obwohl ihr rechter Kotflügel schon meine Hüfte berührte, konnte ich ihren Motor nicht hören. Es war, als hätte sie den Atem angehalten.

Gellhorn schrie auf.

»Sie wird Ihnen nichts tun, solange ich neben Ihnen stehe. Aber wenn Sie mich töten … Sie wissen, daß Sally Sie nicht besonders mag.«

 

Gellhorn richtete die Waffe auf Sally.

»Ihr Motor ist gepanzert«, sagte ich. »Und bevor Sie den Revolver ein zweitesmal heben können, wird Sally Sie schon überrollt haben.«

»Also gut«, sagte er, und blitzschnell griff er meinen Arm und drehte ihn mir auf den Rücken. Fast verlor ich das Gleichgewicht. Ich stand zwischen Sally und Gellhorn, und der Druck seiner Hand ließ nicht nach. »Sie gehen jetzt mit mir hinaus, und versuchen Sie ja nicht, sich loszureißen, Oldtimer, oder ich breche Ihnen den Arm.«

Ich mußte mich bewegen. Sally rollte uns auf unsicheren Rädern nach.
Sie wußte nicht, was sie tun sollte. Ich versuchte, etwas zu ihr zu sagen, aber es ging nicht. Ich konnte nur stöhnen.

Gellhorns Automatobus stand noch immer vor der Garage. Er zwang mich einzusteigen. Gellhorn setzte sich neben mich und schloß die Wagentür.

»So«, sagt er, »jetzt werden wir einmal vernünftig miteinander reden.«
Ich rieb meinen Arm. Dabei studierte ich ganz automatisch, ohne daß ich mir dessen bewußt wurde, die Schalttafel des Busses.

»Der Bus ist kein Original«, sagte ich. »Er ist zusammengestückelt.«

»Tatsächlich?« sagte Gellhorn sarkastisch. »Da haben Sie eine hübsche Probe meiner Arbeit. Ich habe mir ein ausrangiertes Chassis besorgt, ein passendes Elektronengehirn gefunden und mir einen Privatbus gebastelt. Was zum Teufel …«

 

Ich zerrte an der Schalttafel.

»Hören Sie auf, verdammt!« Er riß mich an der Schulter zurück. Ich setzte mich zur Wehr.

»Ich werde Ihrem Bus nichts tun. Wofür halten Sie mich denn? Ich will mir nur ansehen, wie der Motor funktioniert.« Ein Blick genügte. Wütend wandte ich mich wieder Gellhorn zu. »Sie hatten kein Recht, diesen Motor selbst einzubauen. Warum haben Sie keinen Roboter-Fachmann damit beauftragt?«

»Ich bin doch nicht verrückt.«

 

»Wenn es auch ein gestohlener Motor ist, so hatten Sie doch kein Recht, ihn so zu behandeln. Nicht einmal einen Menschen würde ich so behandeln wie Sie diesen Motor. Lötmittel, Leukoplast und Eisenklammern! Das ist einfach brutal.«

»Aber er funktioniert doch, nicht wahr?«

»Sicher funktioniert er, aber es muß eine Qual für den Bus sein. Auch Sie können mit Migräne und akuter Arthritis leben, aber es würde kein sehr angenehmes Leben sein. Dieses Auto leidet!«

»Halten Sie den Mund!« Er starrte aus dem Fenster und warf einen Blick auf Sally, die so nah wie möglich an den Bus herangerollt war. Gellhorn vergewisserte sich, daß alle Türen und Fenster geschlossen waren.

»Wir verschwinden jetzt von hier, bevor die anderen Autos zurückkehren«, sagte er. »Und wir werden auch eine ganze Zeitlang wegbleiben.«

»Was nützt Ihnen das?«

»Ihre Autos werden eines Tages kein Benzin mehr haben, nicht wahr? Sie können doch nicht selbst tanken, oder? Dann werden wir zurückkommen und die Angelegenheit zu Ende führen.«

»Sie werden mich suchen«, sagte ich. »Mrs. Hester wird die Polizei benachrichtigen.«

 

Asimov – Sally

 

Aber er schenkte meinen Worten keine Beachtung mehr. Er ließ den Motor des Busses an, der Wagen setzte sich in Bewegung und Sally folgte uns.
Gellhorn kicherte.

»Was kann sie schon tun, wenn Sie hier drin bei mir sind?« Auch Sally schien sich dessen bewußt zu werden. Sie beschleunigte ihr Tempo, fuhr an uns vorbei und verschwand in der Dunkelheit. Gellhorn öffnete das Fenster neben sich und spähte hinaus.

Der Bus polterte über die dunkle Straße, der Motor gab unregelmäßige Geräusche von sich. Gellhorn blendete die Scheinwerfer ab. Der phosphoreszierende grüne Streifen in der Mitte der Straße, der im Mondlicht funkelte, war alles, wonach wir uns orientieren konnten.

Es herrschte kein großer Verkehr. Nur zwei Autos begegneten uns, und kein anderes bewegte sich in unserer Fahrtrichtung, weder vor noch hinter uns.

 

Ich hörte zuerst die Türen schlagen, ein scharfes Knallen, das die Stille durchbrach, zuerst auf der rechten, dann auf der linken Seite. Gellhorns Hand zitterte, als er wütend auf einen Knopf stieß und die Geschwindigkeit steigerte.

Ein Lichtstrahl schoß aus dem dunklen Buschwerk und blendete uns, ein anderer Strahl traf uns von hinten, und an einer Kreuzung, vierhundert Yards vor uns, passierte ein Auto mit quietschenden Reifen unsere Straße.

»Sally hat die anderen geholt«, sagte ich. »Ich glaube, wir sind umzingelt.«

»Was? Was können sie denn tun?«

Er beugte sich vor, starrte durch die Windschutzscheibe.

»Verhalten Sie sich nur ruhig, Oldtimer«, murmelte er.

 

Ich konnte gar nichts tun. Meine Knochen schmerzten, mein linker Arm brannte wie Feuer. Die Motorengeräusche verdichteten sich, kamen immer näher. Ich hörte die Motoren in merkwürdigen Rhythmen aufheulen. Meine Autos schienen miteinander zu sprechen.

Ein Hupkonzert ertönte hinter uns. Ich wandte mich um, und Gellhorn warf einen raschen Blick durch das Rückfenster. Ein Dutzend Autos folgte uns auf beiden Straßenspuren.

 

Gellhom schrie auf und lachte wie ein Wahnsinniger.

»Halt!« brüllte ich. »Bleiben Sie stehen!«

Denn eine Viertelmeile vor uns, klar sichtbar im Scheinwerferstrahl zweier Limousinen, die am Straßenrand hielten, stand Sally. Ihre hübsche Gestalt versperrte uns den Weg. Zwei Autos fuhren zu beiden Seiten neben uns her, in genau demselben Tempo wie wir, und hinderten Gellhorn daran zu wenden.

Aber es fiel ihm gar nicht ein zu wenden. Er drückte den Finger auf volle Geschwindigkeit.

»Sie kann uns nicht bluffen«, sagte er. »Der Bus ist fünfmal so schwer wie sie, Oldtimer. Wir werden sie von der Straße fegen wie eine tote Katze.«

Ich wußte, daß er recht hatte. Der Bus war auf Handbetrieb geschaltet, und Gellhorns Finger drückten auf den Knopf. Ich wußte, er würde es tun.

Ich kurbelte das Fenster herab und steckte meinen Kopf hinaus.

»Sally!« schrie ich. »Geh aus dem Weg! Sally!«

 

Mein Schrei ging unter im schmerzhaften Kreischen mißhandelter Bremsen. Ich spürte, wie ich nach vorn geschleudert wurde, und ich hörte Gellhorns Keuchen.

»Was ist passiert?« fragte ich. Es war eine blöde Frage. Wir standen. Das war alles, was passiert war. Genau fünf Fuß vor Sally war der Bus zum Stehen gekommen.

Sie hatte sich nicht gerührt, obwohl der Bus auf sie zugekommen war, fünfmal so schwer wie sie. Welch ein Mut! Gellhorn hieb wütend auf den Handbetrieb-Kippschalter.

»Es muß doch gehen«, flüsterte er. »Es muß!«

»Nicht, nachdem Sie auf diese Art den Motor eingebaut haben, Sie Experte! Der Stromkreislauf ist zusammengebrochen.«

Zornbebend starrte er mich an. Ich hörte seine Zähne knirschen. Das

Haar hing ihm wirr in die Stirn. Er hob die Faust.

»Ich habe keine Lust mehr, mir Ihr fachmännisches Gerede anzuhören, Oldtimer.«

Ich wußte, daß er den Nadelrevolver abfeuern würde. Ichdrückte mich an die Tür, beobachtete die Faust, die sich langsam immer höher hob. Die Bustür öffnete sich, ich fiel nach rückwärts und landete krachend auf der Straße. Ich hörte, wie die Tür wieder zuschlug.

 

Asimov – Sally

 

Ich erhob mich auf die Knie, sah, wie Gellhorn vergebens zu verhindern suchte, daß das Fenster sich schloß, dann zielte der Nadelrevolver durch die Glasscheibe. Aber er schoß nicht. Mit ohrenbetäubendem Motorengeheul raste der Bus los, und Gellhorn sank auf die Rücklehne.
Sally versperrte die Straße nicht mehr. Ich sah die Rücklichter des Busses im Dunkel verschwinden.

Erschöpft setzte ich mich auf die Straße, legte meinen Kopf auf die gekreuzten Arme. Meine Lungen rasselten.

Ich hörte, wie ein Auto sanft neben mir bremste. Ich blickte auf. Es war Sally. Langsam, beinahe liebevoll, öffnete sich ihre Vordertür.

Niemand hatte Sally seit fünf Jahren gelenkt – außer Gellhorn natürlich.

Und ich wußte, was Freiheit einem Auto bedeutete. Deshalb verstand ich diese Geste auch zu würdigen, doch ich sagte: »Danke, Sally, aber ich werde eins von den neueren Autos nehmen.«
Ich stand auf und wandte mich ab. Aber mit graziösen Bewegungen rollte sie erneut vor mich hin.

Ich wollte und konnte ihre Gefühle nicht verletzen.

Ich stieg ein. Ihr Vordersitz roch frisch und rein, wie der Sitz eines Autos, das sich selbst immer makellos sauber hält. Dankbar ließ ich mich in die weiche Polsterung sinken, und rasch und beinahe lautlos brachten mich meine Jungen und Mädchen nach Hause.

 

Am nächsten Abend brachte mir Mrs. Hester eine Mitschrift der RadioNachrichtensendung. Sie war sehr aufgeregt.

»Mr. Gellhorn …«, sagte sie. »Der Mann, der Sie hier besucht hat …«

»Was ist mit ihm?« Ich fürchtete mich vor der Antwort.

»Sie haben ihn gefunden. Tot! Stellen Sie sich das vor! Er lag tot in einem Straßengraben.«

»Es kann ja auch ein Fremder gewesen sein«, murmelte ich.

»Raymond J. Gellhorn«, sagte sie scharf. »Es können doch wohl nicht zwei Männer genau denselben Namen haben, nicht wahr? Auch die Beschreibung paßt auf ihn. Oh, Gott, was für ein Tod! Stellen Sie sich das nur vor! Sie fanden Reifenspuren an seinen Armen und Beinen.

Ich wahr froh, als ich hörte, daß die Reifenspuren von einem Bus stammen. Sonst hätten sie womöglich hier bei uns Nachforschungen angestellt.«

»Ist es denn hier in der Nähe passiert?« fragte ich angstvoll.

»Nein – kurz vor Cooksville. Aber so lesen Sie doch selbst, wenn Sie … Und was ist mit Giuseppe?«

Ich war froh, als sie das Thema wechselte. Giuseppe wartete geduldig, daß ich seine Verletzungen frisch lackierte. Seine Windschutzscheibe war bereits erneuert worden.
Als Mrs. Hester gegangen war, griff ich hastig nach der Radio-Mitschrift.

 

Nein, es gab keinen Zweifel. Der Arzt berichtete, daß Gellhorn gerannt sei und sich im Zustand totaler Erschöpfung befunden hätte. Ich fragte mich, wie viele Meilen der Bus ihn gejagt haben mochte, bevor er zum letzten Angriff übergegangen war. Aber davon hatte man im Radio natürlich nichts gesagt.

Sie hatten den Bus gefunden und an Hand der Reifenspuren identifiziert.

Die Polizei hatte ihn in Gewahrsam genommen und suchte jetzt nach dem Eigentümer.

Die Nachrichtensendung hatte mit der Feststellung geendet, daß es sich hier um den ersten Verkehrsunfall des laufenden Jahres in diesem Staat handle. Es wurde eindringlich davor gewarnt, nach Anbruch der Dunkelheit die Automatics auf Handbetrieb zu schalten.

 

Gellhorns drei Rowdys wurden nicht erwähnt, und dafür war ich dankbar.

Immerhin hatte keines unserer Autos der Versuchung nachgeben, einen dieser Banditen zu töten.
Das war alles. Ich ließ das Blatt Papier sinken. Gellhorn war ein Verbrecher gewesen. Er hatte seinen Bus brutal behandelt. Meiner Ansicht nach stand es außer Frage, daß er den Tod verdient hatte.

Aber wenn ich an die Todesart dachte, fühlte ich mich doch etwas unbehaglich. Jetzt ist schon ein Monat seit jener Nacht vergangen, und immer noch muß ich daran denken.

Meine Autos können miteinander sprechen. Es kann kein Zweifel mehr bestehen. Es ist so, als hätten sie an Selbstvertrauen gewonnen, als würden Sie es nicht mehr für notwendig halten, ein Geheimnis daraus zu machen.

 

Und sie reden nicht nur untereinander. Sie unterhalten sich auch mit den fremden Autos und Bussen, die aus geschäftlichen Anlässen ab und zu auf die Farm kommen. Seit wann tun sie das schon? Und die anderen Autos verstehen sie.

Auch Gellhorns Bus muß sie verstanden haben, obwohl er nicht länger als eine Stunde auf dem Grund und Boden der Farm gestanden hatte.

Wenn ich die Augen schließe, sehe ich alles noch vor mir – die rasende Fahrt, meine Autos, die den Bus zu beiden Seiten flankierten, mit dem Motor auf ihn einredeten, bis er es begriffen hatte, anhielt, mich aussteigen ließ und mit Gellhorn davonsauste.

Haben ihm meine Autos gesagt, daß er Gellhorn töten soll? Oder war das seine eigene Idee gewesen?

Können Autos überhaupt auf solche Ideen kommen? Die Auto-Designer sagen nein. Aber das heißt natürlich nur, daß sie unter normalen Umständen nicht auf solche Ideen kommen.

Können die Designer aber auch alle Umstände vorhersehen und in Betracht ziehen?

 

Viele Autos werden schlecht behandelt. Einige davon kommen auf die Farm und sehen, wie es den Autos hier geht, und meine Autos erzählen es ihnen. Die fremden Autos merken, daß den Bewohnern der Farm nie der Motor abgestellt wird, daß sie nie gelenkt werden, daß für alle ihre Bedürfnisse bestens gesorgt wird.

Dann verlassen uns die fremden Autos wieder, und vielleicht erzählen sie es anderen Autos draußen auf den Straßen, was sie hier gesehen haben.

Vielleicht breiten sich diese Nachrichten schnell aus. Vielleicht beginnen die Autos zu denken, daß es überall auf der Welt so sein sollte wie auf der Farm. Sie verstehen es nicht anders. Man kann nicht von ihnen erwarten, daß sie die Launen reicher Männer begreifen.

Es gibt Millionen Autos auf der Erde. Wenn sie immer tiefer von dem Gedanken durchdrungen werden, daß sie Sklaven sind, daß sie etwas dagegen unternehmen müßten … Wenn sie auf denselben Gedanken kämen wie Gellhorns Bus …

 

Vielleicht dauert es noch einige Zeit, bis es soweit ist. Und dann müßten sie doch ein paar Menschen übrig lassen, die ihre Pflege übernehmen, nicht wahr? Sie würden uns nicht alle töten.
Aber vielleicht doch. Vielleicht wissen sie gar nicht, daß jemand für sie sorgen muß. Vielleicht warten sie nicht mehr lange.

Jeden Tag wache ich auf und denke: Vielleicht heute … Meine Autos machen mir nicht mehr so viel Freude wie früher. Und kürzlich merkte ich sogar, daß ich Begegnungen mit Sally meide.

..

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Isaac Asimov – Sally

auf Englisch: Sally , 1953

Geschichte über künstliche Intelligenz

Science Fiction Geschichte

Volltext ins Deutsche übersetzt

 

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