Geschichte von ISAAC ASIMOV Voller TEXT Die BILLARDKUGEL de

 

Isaac Asimov
Die Billardkugel

( The Billiard Ball )

(1967)

 

Science Fiction Geschichte

Volltext ins Deutsche übersetzt

Fantastische amerikanische Literatur

 

Die Billardkugel (auch Das Nullfeld; Originaltitel: The Billiard Ball) ist eine ​Science-Fiction-Kurzgeschichte von Isaac Asimov aus dem Jahr 1967.

Die Geschichte von Isaac Asimovs “Die Billardkugel” (The Billiard Ball) basiert auf dem Bericht eines Journalisten über die Ereignisse, die sich ereigneten, als ein Antigravitationsgerät entdeckt wurde. Die Geschichte beschreibt die Beziehung zwischen dem Erfinder des Geräts, dem Milliardär und Erfinder Edward Bloom, und seinem alten College-Freund James Priss, einem mit dem Nobelpreis ausgezeichneten theoretischen Physiker, der die Theorie entdeckte, auf der Blooms Erfindung basiert. Die beiden Männer sind Rivalen und beide sind erfahrene Billardspieler …

Unten können Sie den Text von Isaac Asimovs Kurzgeschichte “Die Billardkugel” lesen, der ins Deutsche übersetzt wurde.

Die englische Originalversion der Geschichte von Isaac Asimov “The Billiard Ball” (De: Die Billardkugel) finden Sie auf yeyebook, indem Sie hier klicken.

Im Menü oben oder unten finden Sie die Geschichte von Isaac Asimov: “Die Billardkugel”, übersetzt in andere Sprachen: Französisch, Italienisch, Spanisch, Chinesisch usw.

Gute Lektüre und Gute Anweisungen.

 

Isaac Asimov Alle geschichten > hier

 

Isaac Asimov
Die Billardkugel

 

Science Fiction Geschichte

Volltext ins Deutsche übersetzt

 

          Das Nullfeld Professor James Priss sprach immer langsam. Ich weiß das. Ich interviewte ihn oft genug. Er hatte den größten Kopf seit Einstein, aber er arbeitete nicht rasch. Er gab seine Schwerfälligkeit oft zu. Vielleicht arbeitete sein Kopf deshalb nicht so rasch, weil er so großartig war.

Er sprach zum Beispiel langsam in abstrakten Begriffen, dachte dann nach und sprach dann weiter.
Sein riesiger Verstand brütete auch über banalen Dingen voller Ungewißheit, bemühte sich hier und dann dort um den letzten Schliff. Ich kann mir vorstellen, wie er darüber nachdachte, ob morgen die Sonne aufgehen würde. Was meinen wir, wenn wir »aufgehen« sagen? Können wir sicher sein, daß das Morgen kommt? Ist der Ausdruck »Sonne« in diesem Zusammenhang völlig unzweideutig? Denkt man sich zudieser Sprechweise noch ein höfliches Gesicht, ein wenig bleich und bisauf einen all gemeinen Ein druck von Ungewißheitausdruckslos,dazu schütteres graues Haar, doch sauber gekämmt, und Straßenanzüge bescheidenen Zuschnitts,dann hat man Professor James Priss, wie er war – ein sich zur Ruhe setzender Mensch, dem jede Anziehungskraft fehlte.

 

Deshalb würde ihn auch niemand auf der Welt, mich ausgenommen, für einen Mörder halten. Und selbst ich bin mir nicht sicher. Er war immerhin ein langsamer Denker gewesen, er dachte immer langsam.
Kann man annehmen, daß es ihm in einem entscheidenden Augenblick gelang, rasch zu denken und sofort zu handeln?
Es ist gleich. Sollte er auch gemordet haben, er kam ungestraft davon. Es ist jetzt viel zu spät, den Lauf der Dinge aufzuhalten, und es würde mir nicht gelingen, selbst wenn ich mich entschließen würde, dies hier veröffentlichen zu lassen.

 

Edward Bloom war auf dem College Klassenkamerad von Priss und danach ein Menschenalter lang auf Grund der Verhältnisse sein Gefährte. Sie waren beide gleich alt und gleich dem Junggesellenleben ergeben, in allem anderen, worauf es ankam, jedoch grundverschieden.
Bloom war ein wahrer Lichtblick. Er war lebhaft, groß, breit, laut, keck und selbstbewußt. Er hatte einen Verstand, der in der plötzlichen und unerwarteten Art, wie er das Wesentliche begriff, einem funkensprühenden Meteor glich. Er war kein Theoretiker wie Priss.

Bloom hatte weder die Geduld dazu, noch die Fähigkeit, sich durch angestrengtes Nachdenken auf einen einzigen abstrakten Punkt zu konzentrieren. Er gab es zu und brüstete sich damit.
Was er hatte, war eine unheimliche Art, die Anwendung einer Theorie zu erfassen, den Weg zu erfassen, auf dem sie nutzbar gemacht werden konnte.

Er konnte offensichtlich mühelos in dem kühlen Marmorblock abstrakter Konstruktionen den verwikkelten Plan zu einem herrlichen Gerät sehen. Auf seine Berührung hin fiel der Block auseinander und gab das Gerät frei.

 

Alle Welt weiß, und es ist nicht übertrieben, daß nichts, was Bloom je baute, versagte oder nicht zu patentieren oder zu Geld zu machen war. Als er fünfundvierzig war, gehörte er zu den reichsten Männern der Erde. Und der Techniker Bloom hatte sich nie auf eine Sache besser eingestellt als auf die Denkweise des Theoretikers Priss. Die großartigsten Apparate Blooms wurden auf Grund der großartigsten Gedanken von Priss gebaut, und während Bloom reich und berühmt wurde, erlangte Priss unter seinen Kollegen einen phänomenalen Ruf.

Als Priss seine Zwei-Felder-Theorie vortrug, erwartete man natürlich, daß sich Bloom sofort daran machen werde, das erste brauchbare AntiSchwerkraft-Gerät zu bauen.
Es war meine Aufgabe, für die Abonnenten der TeleNews Press menschlich Interessantes an der ZweiFelder-Theorie aufzuspüren, und darauf stößt man,
wenn man sich mit menschlichen Wesen und nicht mit abstrakten Ideen beschäftigt. Da das Interview mit Professor Priss, keine leichte Sache war.

 

Natürlich wollte ich ihn über die Möglichkeiten der Anti-Schwerkraft fragen, für die sich jeder interessierte, und nicht über die Zwei-Felder-Theorie, die niemand verstehen konnte.
»Anti-Schwerkraft?« Priss preßte die bleichen Lippen aufeinander und überlegte. »Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie je möglich sein wird. Ich habe die Sache noch nicht zu meiner Zufriedenheit gelöst. Ich sehe nicht genau, ob die Gleichungen der ZweiFelder-Theorie eine endliche Lösung haben, die sie selbstverständlich haben müßten, wenn …« Und dann versank er in seinen Gedanken.

Ich stachelte ihn an. »Bloom sagt, er glaubt, solch ein Gerät kann gebaut werden.« Priss nickte. »Jaja, aber ich frage mich. Ed Bloom hat in der Vergangenheit die verblüffende Gabe gehabt, Dinge zu sehen, die nicht gleich zu bemerken waren. Er hat einen ungewöhnlichen Kopf. Er ist damit ja auch reich genug geworden.« Wir saßen in der Wohnung von Priss. Gewöhnlich und bürgerlich. Ich konnte mir nicht verkneifen, rasch hierhin und dorthin zu schauen. Priss war nicht reich.

Ich glaube nicht, daß er meine Gedanken las. Er sah meine Blicke. Und ich glaube, seine Gedanken beschäftigten sich damit. Er sagte: »Der reine Wissenschaftler wird gewöhnlich nicht mit Reichtum belohnt. Der auch gar nicht erstrebenswert wäre.« Ich dachte dabei, das kann schon sein. Priss war gewiß auf seine Weise belohnt worden. Er war der dritte Mensch in der Geschichte des Nobelpreises, der ihn zweimal erhalten hatte, und der erste, der beide für wissenschaftliche Leistungen bekam, und zwar ungeteilt. Da kann man sich nicht beschweren. Wenn er nicht reich war, so war er auch nicht arm.

 

Aber er hörte sich nicht wie ein zufriedener Mensch an. Vielleicht ärgerte Priss nicht nur der Reichtum Blooms, vielleicht auch die Berühmtheit Blooms. Vielleicht war es die Tatsache, daß Bloom gefeiert wurde, wohin er auch kam, während Priss außerhalb wissenschaftlicher Kongresse und Vereinigungen weithin unbekannt war.
Ich kann nicht sagen, wieviel davon in meinen Augen oder den Falten meiner Stirn anzusehen war, aber Priss fuhr fort: »Aber wir sind Freunde, wissen Sie.

Ein-, zweimal die Woche spielen wir zusammen Billard. Ich schlage ihn regelmäßig.« Ich sagte: »Möchten Sie sich dazu äußern, ob es Bloom gelingen wird, ein Anti-Schwerkraft-Gerät zu bauen?« »Sie meinen, ob ich mich auf etwas festlegen will? Hm. Nun, lassen Sie mich nachdenken, junger Mann.

 

Was verstehen wir überhaupt unter Anti-Schwerkraft? Unsere Auffassung von Schwerkraft gründet sich auf Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, die jetzt einhundertfünfzig Jahre alt ist, die sich innerhalb ihrer Grenzen aber als fest erwiesen hat. Wir können uns eine Vorstellung von ihr machen …« Ich lauschte höflich. Ich hatte Priss schon darüber reden hören; es war gar nicht sicher, ob ich etwas aus ihm herausbekommen würde, ich mußte ihn jedoch bis dahin seinen eigenen Weg gehen lassen.

»Wir können uns eine Vorstellung von ihr machen«, sagte er, »wenn wir uns das Universum als eine flache, dünne, superelastische und unzerreißbare Gummidecke vorstellen. Wenn wir uns Masse mit Gewicht verknüpft vorstellen, wie es auf der Erdoberfläche ist, dann würden wir erwarten, daß eine Masse, die auf der Gummidecke ruht, eine Vertiefung hervorruft. Je größer die Masse, desto tiefer die Vertiefung. « Er fuhr fort: »Im wirklichen Universum gibt es alle Arten von Massen, und man muß sich unsere Gummidecke als übersät mit Vertiefungen vorstellen. Jeder Gegenstand, der über die Decke rollen würde, müßte auf seinem Lauf in Vertiefungen hinein und wieder hinaus und dabei ziellos seine Richtung ändern.

Diese Schwanken und Richtungswechseln deuten wir als Beweis für die Existenz der Schwerkraft. Wenn der sich bewegende Gegenstand der Mitte einer solchen Vertiefung nahe genug kommt und sich langsam genug bewegt, dann wird er eingefangen und wirbelt in dieser Vertiefung herum. Bei Abwesenheit von Reibungskräften wirbelt er ewig im Kreis herum. Anders ausgedrückt, was Isaac Newton als Kraft deutete, hat Albert Einstein als geometrische Verzerrung betrachtet.« Er hielt an diesem Punkt inne. Er hatte verhältnismäßig flüssig gesprochen, da er Dinge sagte, über die er schon oft geredet hatte. Aber jetzt kam er nur noch zögernd voran.

 

Er sagte: »Wenn wir also versuchen, AntiSchwerkraft herzustellen, versuchen wir, die Geometrie des Universums zu ändern. Um unseren Vergleich fortzusetzen, versuchen wir, die eingedellte
Gummidecke glattzuziehen. Wir könnten uns auch denken, wir begeben uns unter die Masse, die die Vertiefung verursacht, heben sie hoch und tragen sie, damit sie keine Vertiefung hervorrufen kann. Wenn wir die Gummidecke auf diese Weise glatt bekommen, schaffen wir ein Universum – oder zumindest einen Abschnitt des Universums, in dem es keine Schwerkraft gibt.

Ein rollender Körper wurde an der Masse, die keine Vertiefung hervorruft, ohne eine Richtungsänderung vorbeikommen, und wir könnten das so deuten, daß diese Masse keine Schwerkraft hatte. Um das bewerkstelligen zu können, brauchten wir allerdings eine Masse, die der entspricht, die die Vertiefung verursacht. Um auf der Erde so AntiSchwerkraft herstellen zu können, müßten wir eine Masse benutzen, die der der Erde entspräche, und sie sozusagen über unsere Köpfe heben.« Ich unterbrach ihn. »Aber Ihre Zwei-Felder-Theorie…«

 

»Eben. Die Allgemeine Relativitätstheorie erklärt Schwerkraftfeld und elektromagnetische Felder nicht in einem einzigen Satz von Gleichungen. Einstein brachte sein halbes Leben damit zu, diesen einzigen Satz für eine einheitliche Feld-Theorie zu suchen – und versagte. Alle, die Einstein folgten, versagten ebenfalls. Ich begann jedoch mit der Annahme, daß es zwei Felder gäbe, die sich nicht vereinigen ließen und kam zu Schlußfolgerungen, die ich zum Teil mit Hilfe des Bildes der Gummidecke erklären kann.« Wir kamen jetzt auf etwas, was ich, glaube ich, nochnie zuvor gehörthatte.»Wie geht das?« fragte ich.

»Nehmen wir an, wir versuchen, anstatt die Masse aus ihrer Vertiefungzuheben, die Decke selbst zu versteifen, sie weniger nachgiebig zu machen. Sie würde sich zumindest in einem kleinenGebiet zusammenziehen und glatter werden. Schwerkraftund Masse würdengeschwächt,weildie beiden in AnbetrachtdesUniversums, das aus Vertiefungen besteht, im wesentlichen dasselbe sind. Wenn wir die Gummidecke völlig flach bekämen, würden Schwerkraft und Masse völlig verschwinden. Unter den richtigen Voraussetzungen könnte man das elektromagnetische Feld dazu benutzen, dem Schwerkraftfeld entgegenzuwirken und so das eingedellte Gebilde des Universums versteifen zu helfen.

Das elektromagnetische Feld ist enorm stärker als das Schwerkraftfeld, und man könnte das erstere dazu bringen, letzteres zu überwinden.« Ich sagte unsicher: »Aber Sie sagten, ›unter den richtigen Voraussetzungen‹. Herr Professor, können diese richtigen Voraussetzungen, von denen Sie sprechen, geschaffen werden?« »Eben das weiß ich nicht«, sagte Priss langsam.

 

»Wenn das Universum wirklich eine Gummidecke wäre, dann müßte ihre Versteifung einen unendlich großen Grad erreichen, bevor man erwarten könnte, daß sie unter einer drückenden Masse völlig glatt bliebe. Wenn das im wirklichen Universum auch so ist, dann benötigte man ein unendlich starkes elektromagnetisches Feld, und das würde heißen, daß Anti-Schwerkraft unmöglich ist.« »Aber Bloom sagt …« »Ja, ich kann mir denken, daß Bloom meint, ein endliches Feld würde genügen, wenn man es richtig einsetzt.

Trotzdem, wie genial er auch sein mag«, sagte Priss und lächelte mit schmalen Lippen, »müssen wir nicht denken, er sei unfehlbar. Er hat kein sehr gutes Verständnis der Theorie. Er hat nie seinen Collegeabschluß gemacht, wußten Sie das?« Ich wollte schon sagen, daß ich es wisse. Schließlich wußte es jeder.

Aber der Stimme von Priss war ein Eifer anzumerken, als sei er erfreut, diese Neuigkeit unter die Leute zu bringen. Ich nickte also, als würde ich es mir für eine späte Erwähnung merken.« »Sie würden also sagen, Professor Priss«, versuchte ich es wieder, »daß Bloom wahrscheinlich unrecht hat und daß Anti-Schwerkraft unmöglich ist?« Und Priss nickte und sagte: »Das Schwerkraftfeld kann natürlich geschwächt werden, aber wenn wir unter Anti-Schwerkraft ein echtes Schwerkraftfeld mit dem Wert Null verstehen – gar keine Schwerkraft in einem bedeutenden Raumabschnitt –, dann fürchte ich, daß sie sich als vielleicht unmöglich herausstellen wird.« Und ich hatte mehr oder weniger, was ich wollte.

 

Danach vergingen fast drei Monate, bevor es mir gelang, Bloom zu sehen, und als ich ihn sah, hatte er schlechte Laune.
Er war natürlich sofort verärgert gewesen, als die Erklärung von Priss bekannt wurde. Er ließ wissen, daß Priss zur Vorführung des Anti-SchwerkraftGeräts eingeladen würde, und man werde ihn sogar bitten, bei der Vorführung mitzuwirken. Ein Reporter erwischte ihn zwischen seinen Terminen und bat ihn, sich ausführlicher darüber zu äußern, und er sagte: »Ich werde das Gerät vielleicht schon bald haben.
Und Sie und jeder kann dabeisein, den die Presse dabeihaben will. Und Professor James Priss Kann auch dabeisein. Er kann die theoretische Wissenschaft vertreten, und nachdem ich die Anti-Schwerkraft vorgeführt haben werde, kann er seine Theorie berichtigen.

Ich bin mir sicher, daß er seine Berichtigungen in meisterlicher Art vornehmen und genau zeigen wird, warum ein Versagen meinerseits überhaupt nicht möglich war. Er könnte das jetzt schon tun und sich Zeit sparen, aber ich nehme an, er wird das nicht tun.« Es war alles sehr höflich gesagt, aber durch den rasch ausgestoßenen Wortschwall hindurch war ein bösartiges Knurren zu bemerken.

 

Er setzte dennoch seine gelegentlichen Billardspiele mit Priss fort, und wenn sich die beiden trafen, benahmen sie sich äußerst anständig. Man konnte dem Verhalten der beiden der Presse gegenüber den Fortschritt ansehen, den Bloom machte. Bloom wurde wortkarg und hochfahrend, während Priss sich immer besser gelaunt gab.

Als meine soundsovielte Bitte um ein Interview mit Bloom endlich erhört wurde, fragte ich mich, ob Bloom vielleicht bei seinem Vorhaben einen Durchbruch erzielt habe. Ich baute schon an dem kleinen Luftschloß, er werde mir seinen endgültigen Erfolg verkünden.

Es kam anders. Wir trafen uns in seinem Büro der Bloom Enterprises im Staat New York. Eine herrliche Anlage, fernab aller bewohnten Gegenden, inmitten wunderbar gestalteter Landschaft.
Bloom war nicht gut gelaunt. Er kam zehn Minuten zu spät hereingestürmt, lief knurrend am Tisch seiner Sekretärin vorbei und nickte kaum in meine Richtung. Er hatte einen weißen Arbeitskittel an, der nicht zugeknöpft war.

 

Er warf sich in seinen Stuhl und sagte: »Tut mir leid, daß ich Sie warten ließ, aber ich hatte weniger Zeit, als ich dachte.« Bloom beherrschte die Kunst, sich in Szene zu setzen und war klug genug, die Presse nicht zu verprellen. Ich hatte aber den Eindruck, daß er im Augenblick große Schwierigkeiten hatte, sich an diesen Grundsatz zu halten.

Ich sprach aus, was offensichtlich war. »Sir, ich nehme an, daß Ihre letzten Versuche ohne Erfolg geblieben sind.« »Wer sagt Ihnen das?« »Ich möchte sagen, es ist allgemein bekannt, Mr.
Bloom.« »Nein, das ist es nicht. Sagen Sie das nicht, junger Mann. Es ist nicht allgemein bekannt, was in meinen Laboratorien und Werkstätten vor sich geht.

Sie geben die Meinung des Professors wieder, nicht wahr? Ich meine die von Priss.« »Nein, ich …« »Aber natürlich. Sind Sie nicht der, dem er erklärte, Anti-Schwerkraft sei unmöglich?« »So glatt hat er es nicht gesagt.« »Er drückt sich nie glatt aus, aber für ihn war es glatt genug, aber doch nicht so glatt, wie ich sein verflixtes Gummidecken-Universum haben werde, wenn ich soweit bin.« »Heißt das etwa, daß Sie Fortschritte machen, Mr. Bloom?« »Sie wissen, ich mache Fortschritte«, schnauzte er.

»Oder Sie sollten es wissen. Waren Sie nicht letzte Woche bei der Vorführung?« »Ja ich war dort.« Ich vermutete Bloom in Schwierigkeiten, sonst hätte er diese Vorführung nicht erwähnt. Es klappte alles, aber es geschah nichts Aufregendes. Zwischen den beiden Polen eines Magneten wurde ein Bereich verringerter Schwerkraft hergestellt.

 

Es war sehr geschickt gemacht. Man benutzte ein Meßverfahren für den Mössbauer-Effekt, um den Raum zwischen den Polen zu untersuchen. Eine solche M-E-Waage besteht in der Hauptsache aus einem engen, monochromatischen Bündel von Gammastrahlen, die durch das Feld niederer Schwerkraft geschossen werden.

Unter dem Einfluß des Schwerkraftfeldes ändern die Gammastrahlen schwach, aber meßbar die Wellenlänge, und wenn durch irgend etwas die Stärke des Felds verändert wird, verlagert sich auch entsprechend die Veränderung der Wellenlänge. Ein äußerst empfindliches Verfahren, um ein Schwerkraftfeld zu untersuchen, und es ging alles wie am Schnürchen. Kein Zweifel, Bloom hatte die Schwerkraft verringert.

Das Problem war nur, daß es andere vor ihm schon geschafft hatten. Sicher, Bloom hatte Schaltungen verwendet, die die Hervorbringung einer solchen Wirkung bedeutend vereinfacht hatte – sein System war auf typische Weise genial und war gleich patentiert worden – und er behauptete, daß auf Grund dieser Methode die Anti-Schwerkraft nicht nur eine wissenschaftliche Kuriosität bleiben, sondern zu einer praktischen Sache werde, die sich industriell verwerten lasse. Möglich.

Aber es war keine ganze Arbeit, geleistet worden, und für gewöhnlich machte er keinen Wirbel um Unfertiges. Auch diesmal hätte er es nicht getan, wenn er nicht verzweifelt irgend etwas gesucht hätte, was sich herzeigen ließ.

 

Ich sagte: »Ich habe den Eindruck, Sie haben bei dieser einstweiligen Vorführung nur 0,82 g erreicht, und in Brasilien ist man letztes Frühjahr weitergekommen.« »Wirklich? Nun, berechnen Sie mal den Energieverbrauch in Brasilien und hier, und dann sagen Sie mir den Unterschied in der Verminderung der Schwerkraft pro Kilowattstunde. Da werden Sie überrascht sein.« »Aber der springende Punkt ist doch, werden Sie Schwerkraft vom Wert Null erreichen. Professor Priss meint, das sei unmöglich. Alle sind seiner Meinung, daß es keine große Sache ist, die Stärke des Feldes herabzusetzen.«

Bloomballte die Fäuste.Ich hatte das Gefühl, daß an diesem Tag ein maßgebendes Experiment fehlge schlagen war, was für ihn ein fast unerträgliches Ärgernis war. Bloom konnte es nicht ausstehen, vom Univer- sum Hindernisse in den Weg gelegt zu bekommen.

 

Er sagte: »Bei Theoretikern wird mir schlecht.« Er sagte es, als wolle er endlich seine Meinung deutlich sagen. »Priss hat zwei Nobelpreise bekommen, weil er ein paar Gleichungen durch ein andergemischt hat, aber was hat er mit ihnen angefangen? Nichts! Ich habe mit ihnen etwas angefangen, und ich werde auch noch mehr mit ihnen machen, ob es Priss nun paßt oder nicht. Ich bin derjenige, an den sich die Leute erinnern werden. Ich bin der, der Anerkennung findet.

Er kann seinen blöden Titel und seine Preise und sein Renommee unter den Gelehrten behalten. Hören Sie, ich sage Ihnen, was ihm Bauchweh macht. Nichts als altmodische Mißgunst. Es bringt ihn um, daß mein Tun mir etwas einbringt. Er möchte, daß ihm das Denken das gleiche einbringt. Ich sagte einmal zu ihm – wissen Sie, wir spielen zusammen Billard …« An diesem Punkt gab ich Priss’ Äußerung über Billard zum besten, und Bloom machte seine Gegendarstellung.

»Wir spielen Billard«, sagte Bloom, als er sich wieder beruhigt hatte, »und ich habe genug Spiele gewonnen. Wir bleiben dabei ganz freundlich. Zum Teufel, wir sind Schulkameraden – obwohl ich nie begreife, wie er auf dem College durchgekommen ist.

 

In Physik und Mathematik hat er’s selbstverständlich geschafft, aber in den Geisteswissen schaften hat man ihn, glaube ich, nur aus purem Mitleid durchrutschen lassen.« »Sie haben Ihren Collegeabschluß nicht gemacht, nicht wahr, Mr. Bloom?« Das war reiner Mutwille von mir. Sein Ausbruch machte mir Spaß.

»Ich hab’ aufgehört, um ins Geschäftsleben einzutre- ten, verdammt noch mal. Die drei Jahre, die ich dort war, hatte ich im Durchschnitt immer eine gute Zwei.

Was anderes brauchen Sie gar nicht zu glauben, hören Sie. Zum Teufel, als Priss seinen Doktor machte, war ich dabei, meine zweite Million zu machen.« Deutlich gereizt fuhr er fort: »Wir spielten auf jeden Fall Billard, und ich sagte zu ihm: ›Jim, der Mann auf der Straße wird nie verstehen, warum du den Nobelpreis kriegst, wenn ich derjenige bin, der die Erfolge hat. Warum brauchst du zwei? Gib mir einen! ‹ Er stand da, schmierte Kreide an sein Queue und sagte dann auf seine leise, alberne Art: ›Du hast zwei Millionen, Ed. Gib mir eine.‹ Sehen Sie, er möchte das Geld. « Ich sagte: »Ich nehme an, es macht Ihnen nichts aus, daß er die Ehrungen einheimst.« Einen Augenblick lang glaubte ich, er werde mir die Tür weisen. Er tat es aber nicht. Statt dessen lachte er, wedelte er mit der Hand, als wolle er auf einer unsichtbaren Tafel etwas auswischen. Er sagte: »Ach, lassen Sie’s. Das ist alles nicht für die Öffentlichkeit.

 

Hören Sie, Sie wollen eine Erklärung? Okay. Heute ist was schiefgegangen, aber das wird sich ändern. Ich glaube, ich weiß, was nicht stimmt. Und wenn nicht, dann werde ich es wissen. Hören Sie, Sie können sagen, ich sage, wir brauchen kein unendlich starkes Magnetfeld. Wir werden die Gummidecke flach kriegen. Wir werden den Nullpunkt erreichen. Und wenn wir dort sind, werden wir die tollste Vorführung machen, die es je gab, und Sie werden auch dazu eingeladen. Und Sie können sagen, daß es nicht mehr lange dauern wird.« Mir blieb danach noch Zeit, jeden der beiden einoder zweimal zu sehn. Ich sah sie sogar zusammen, als ich bei einem ihrer Billardspiele anwesend war.
Wie ich vorhin schon sagte, waren beide wirklich gut.

Aber die Einladung zur Vorführung kam nun doch nicht so schnell. Nur sechs Wochen fehlten, dann wäre es ein Jahr her gewesen, daß mir Bloom seine Erklärung abgegeben hatte. Wobei es wahrscheinlich ungerecht war, schnellere Arbeit zu erwarten.

Ich erhielt eine besonders fein gedruckte Einladung, auf der versichert wurde, daß zuerst Cocktails gereicht würden. Bloom ließ sich auf keine halben Sachen ein und beabsichtigte, eine Gruppe zufriedener Reporter zur Hand zu haben. Es gab auch eine Vereinbarung über eine trimensionale Fernsehübertragung. Offenbar fühlte sich Bloom sicher genug, um die Vorführung in jedes Wohnzimmer auf dem Planeten tragen zu lassen.

 

Ich rief Professor Priss an, um mich zu vergewissern, daß er auch eingeladen war. Er war es.
»Haben Sie vor zu kommen, Sir?« Es herrschte Schweigen, und das Gesicht des Professors auf der Sichtscheibe war ein Musterbeispiel an Ungewißheit und Zögern. »Eine Vorführung dieser Art ist höchst unangebracht, wenn eine ernste wissenschaftliche Frage zur Debatte steht. Solche Sachen unterstütze ich nicht gern.« Ich fürchtete, er werde absagen, und die Situation würde sehr an Spannung zu wünschen übrig lassen, wenn er nicht anwesend wäre.

Aber dann wurde ihm vielleicht klar, daß er es nicht wagte, vor allen Augen einen Rückzieher zu machen. Mit deutlichem Widerwillen sagte er: »Ed Bloom ist natürlich kein echter Wissenschaftler und muß seinen Spaß haben. Ich werde anwesend sein.« »Glauben Sie, daß Mr. Bloom den Nullpunkt der Schwerkraft erreicht, Sir?« »Mhm … Mr. Bloom hat mir eine Kopie seines Plans zu dem Gerät geschickt und ich … bin mir nicht sicher. Vielleicht gelingt es ihm, wenn … mhm … er sagt, er schafft es. Selbstverständlich …« Er machte wieder eine ziemlich lange Pause. »Selbstverständlich würde ich es gern sehen, glaube ich.« Und ich und viele andere auch.

 

Die Inszenierung war tadellos. Im Hauptgebäude der Bloom Enterprises war ein ganzes Stockwerk frei gemacht worden. Es gab die versprochenen Cocktails, ein blendend aufgebautes kaltes Büfett, leise Musik, sanfte Beleuchtung und einen sorgsam gekleideten und jovialen Edward Bloom, der den vollkommenen Gastgeber spielte, während ihm dabei eine Reihe höflicher und unauffälliger Diener zur Hand gingen. Es herrschten eitel Freude und Zuversicht.

James Priss verspätete sich, und ich ertappte Bloom, wie er verbittert den Blick über die Menge schweifen ließ. Dann kam Priss und brachte seine ganze Langweiligkeit mit.
Bloom sah ihn, und sein Gesicht hellte sich sofort auf. Er sprang auf ihn zu, nahm die Hand des kleineren Mannes und zog ihn zur Bar.

»Jim! Erfreut,dich zusehen.Was magst du? Mensch, ich hätte alles abgeblasen, wenn du nicht gekommen wärst.Ohne denStar geht es nun mal nicht, weißt du.« Er schüttelte Priss die Hand. »Weißt du, es ist deine Theorie.Wir armen Sterblichenkönnennichts machen, wenn ihr wenigen nicht den Weg zeigen würdet.« Er schäumte vor lauter Schmeicheleien über, weil er sie sich jetzt leisten konnte. Er wollte Priss für das Schlachtfest mästen.

 

Priss wollte das Getränk ausschlagen, aber man drückte ihm ein Glas in die Hand, und Bloom ließ seine Stimme anschwellen.
»Meine Herren! Einen Augenblick Ruhe bitte! Auf Professor Priss, den größten Kopf seit Einstein, zweifacher Nobelpreisträger, Vater der Zwei-FelderTheorie und geistiger Anreger der Vorführung, die wir sehen werden – auch, wenn er glaubte, es würde nicht funktionieren, und den Mut hatte, das öffentlich zu sagen.« Man hörte vernehmliches Gelächter, das aber rasch verstummte und Priss blickte so verbissen drein, wie es zu erwarten war.

»Aber da jetzt Professor Priss hier ist«, sagte Bloom, »und wir unseren Trinkspruch ausgebracht haben, soll es weiter gehen. Folgen Sie mir, meine Herren!« Der Schauplatz befand sich diesmal im obersten Stock des Gebäudes. Es waren andere Magneten aufgebaut
– noch kleinere, du lieber Himmel – aber soweit ich sehen konnte, war wieder dieselbe M-E-Waage im Einsatz.

 

Eins war auf jeden Fall neu und verblüffte jeden. Es war ein Billardtisch, den man unter den einen Pol des Magneten gestellt hatte. Unter ihm befand sich der Gegenpol. Genau in der Mitte des Tisches hatte man ein Loch von etwa dreißig Zentimeter Durchmesser gemacht, und offensichtlich sollte das Feld ohne Schwerkraft, sollte es herzustellen sein, durch das Loch in der Mitte des Billardtisches gehen.

Es war, als wollte man durch die surrealistisch inszenierte Vorführung den Sieg Blooms über Priss besonders deutlich zeigen. Es war eine Abwandlung ihrer ewigen Billardwettkämpfe, und Bloom war auf dem Weg zum Gewinn.

Ich weiß nicht, ob die anderen Presseleute die Sache so auffaßten, aber Priss, glaube ich, tat es. Ich drehte mich um und sah ihn an und bemerkte, daß er das Glas noch in der Hand hielt, das man ihm auf gezwungen hatte. Ich wußte, daß er selten trank, aber jetzt hob er das Glas an die Lippen und leerte es mit zwei Schlucken. Er starrte auf die Billardkugel, und ich brauchte keine übersinnlichen Fähigkeiten um zu merken, daß er es als absichtliche Spitze gegen ihn aufnahm.

 

Bloom führte uns zu den zwanzig Sitzen, die an drei Seiten des Tisches aufgestellt waren. Die vierte war für Hantierungen freigelassen worden. Priss wurde aufmerksam zu dem Sitz geleitet, der die beste Sicht bot. Priss warf einen raschen Blick auf die trimensionalen Kameras, die jetzt liefen. Ich fragte mich, ob er ans Gehen dachte, dann aber merkte, daß es vor den Augen der ganzen Welt nicht möglich war.

Die Vorführung war eigentlich einfach. Es kam alles auf die Regie an. Es gab deutlich sichtbare Skalen, die den Aufwand an Energie anzeigten. Es gab andere, die die Meßdaten der M-E-Waage so wiedergaben, daß sie für alle sichtbar waren. Alles war so angeordnet, daß ohne weiteres trimensional übertragen werden konnte.

Bloom erklärte freundlich jeden Schritt, schwieg ein-, zweimal, um sich an Priss zu wenden und eine Bestätigung einzuholen, die einfach kommen mußte.

Er tat es, um Priss im eigenen Saft braten zu lassen, doch nicht so oft, daß die anderen etwas merkten.

 

Von meinem Sitzplatz aus konnte ich Priss auf der anderen Seite des Tisches sitzen sehen.
Er sah aus, als stecke er in der Hölle.

Wie wir alle wissen, erreichteBloomsein Ziel.Während das elektromagnetische Feld verstärkt wurde,
zeigte die M-E-Waage an, daß die Stärke des Schwerkraftfelds ständig abnahm. Beifallsrufe erklangen, als sie unter den Wert von 0,52 g fiel, der auf dem Anzeigegerät durch einen roten Strich hervorgehoben war.

»Wie Sie wissen«, sagte Bloom zuversichtlich, »stand der Rekord für den tiefsten Wert der Schwerkraft bei 0,52 g. Wir liegen jetzt tiefer, und das bei einem Stromverbrauch, der nur zehn Prozent von dem ausmacht, der beim letzten Rekord benötigt wurde.

Und wir werden noch weiter hinuntergehen.« Bloom verlangsamte am Ende das Fallen – ich glaube absichtlich, um die Spannung zu steigern. Die trimensionalen Kameras schwenkten vom Loch im Billardtisch zum Anzeigegerät, das die weiter absinkenden Werte der M-E-Waage angab, und zurück.
Bloom sagte plötzlich: »Meine Herren, in der Tasche neben jedem Stuhl finden Sie dunkle

Schutzbrillen. Setzen Sie die jetzt bitte auf.

Der Nullpunkt des Schwerkraftfelds ist bald erreicht, und es wird ein Licht aussenden, das in hohem Maß ultraviolette Strahlen enthält.« Er setzte selbst eine Schutzbrille auf, und es entstand ein allgemeines Geraschel, als man es ihm nachmachte.
Ich glaube, während der letzten Minute wagte niemand zu atmen, als der Zeiger auf Null fiel und dort verharrte. Und im gleichen Augenblick bildete sich zwischen den beiden Polen durch das Loch im Billardtisch hindurch ein Zylinder aus Licht.

 

Zwanzig Menschen hielten die Luft an. Dann rief jemand: »Mr. Bloom, wodurch entsteht das Licht?« »Es ist typisch für den Nullpunkt der Schwerkraft«, sagte Bloom ruhig, was natürlich keine Antwort war.
Einige Reporter standen jetzt auf und drängten zum Tisch. Bloom scheuchte sie weg. »Meine Herren, treten Sie bitte zurück.« Nur Priss blieb sitzen. Er schien in Gedanken versunken, und ich war die ganze Zeit danach sicher, daß es an den Schutzbrillen lag, daß die mögliche Bedeutung dessen, was dann folgte, nicht klar zu erkennen war.

Ich sah seine Augen nicht, konnte sie nicht sehen. Und das hieß, weder ich noch sonst jemand konnte noch nicht einmal auf eine Vermutung kommen, was sich in diesen Augen abspielte. Nun, wir wären auf eine solche Vermutung vielleicht nicht einmal gekommen, wenn es keine Schutzbrillen gegeben hätte, aber wer kann das schon sagen? Bloom ließ wieder seine Stimme erschallen. »Bitte! Die Vorführung ist noch nicht beendet.

Bis jetzt haben wir nur wiederholt, was ich früher schon gemacht habe. Ich habe jetzt ein Schwerkraftfeld mit dem Wert Null hergestellt und gezeigt, daß das praktisch möglich ist. Aber ich möchte etwas davon vorführen, was dieses Feld machen kann. Was wir als nächstes sehen werden, hat noch niemand gesehen, auch ich nicht.

Ich habe in dieser Richtung noch keine Experimente unternommen, so gern ich es auch getan hätte, weil ich der Ansicht bin, Professor Priss gebührt die Ehre …« Priss riß den Kopf in die Höhe. »Was …?« »Professor Priss«, sagte Bloom und lächelte offen, »ich hätte gern, daß Sie das erste Experiment durchführen, bei dem es um die Wirkung des Nullfeldes auf einen festen Körper geht. Sie sehen, daß sich das Feld in der Mitte eines Billardtisches gebildet hat. Die Welt weiß von Ihren phänomenalen Fähigkeiten als Billardspieler, Professor, ein Talent, das nur noch von Ihrer Begabung für theoretische Physik übertroffen wird. Möchten Sie nicht eine Billardkugel in den Bereich des Nullfelds stoßen?« Eifrig reichte er dem Professor Kugel und Queue.

 

Priss, dessen Augen durch die Schutzbrille verdeckt waren, starrte auf beides nieder und nahm sie nur langsam und zögernd an sich.
Ich frage mich, was seine Augen zeigten. Ich frage mich auch, wie weit der Entschluß, Priss bei der Vorführung Billard spielen zu lassen, auf Blooms Ärger über die Bemerkung von Priss zurückzuführen war, mit der er ihre regelmäßigen Spiele bedacht hatte, die Bemerkung, die ich weitergegeben hatte. »War ich auf meine Weise für das Folgende verantwortlich?« »Kommen Sie, stehen Sie auf, Professor«, sagte Bloom, »und lassen Sie mich Ihren Platz einnehmen.

Von jetzt ab ist die Bühne frei für Sie. Nur zu!« Bloom setzte sich und sprach mit dröhnender Stimme weiter. »Wenn Professor Priss die Kugel in den Bereich des Nullfelds schickt, wird sie nicht länger vom Schwerkraftfeld der Erde beeinflußt sein. Sie wird wahrscheinlich bewegungslos bleiben, während sich die Erde um ihre Achse dreht und um die Sonne kreist. Ich habe ausgerechnet, daß sich die Erde in dieser Breite und zu dieser Tageszeit nach unten be- wegt. Wir werden uns mit ihr bewegen, und die Kugel wird stillstehen. Uns wird es vorkommen, als bewege sie sich nach oben, weg von der Erdoberfläche.

 

Passen Sie auf.« Priss war vor dem Tisch anscheinend zu Bewegungslosigkeit erstarrt. Vor Überraschung? Erstaunen? Ich weiß es nicht. Ich werde es nie wissen.

Wollte er mit einer Geste Blooms kleine Rede unterbrechen, oder bemühte er sich nur verzweifelt, der
schmählichen Rolle zu entrinnen, die ihm sein Widersacher aufzwang? Priss wandte sich dem Billardtisch zu, warf zuerst einen Blick auf ihn, dann einen auf Bloom. Die Reporter hatten sich alle erhoben und drängten so nah wie möglich herbei, um gut zusehen zu können. Nur Bloom blieb allein auf seinem Sitz und lächelte. Er sah natürlich weder Tisch, noch Kugel, noch Nullfeld an.
Soweit ich durch die Schutzbrille erkennen konnte, sah er sich Priss an.

Priss drehte sich zum Tisch um und setzte seine Kugel auf. Er sollte das Werkzeug abgeben, das Bloom den endgültigen Triumph bringen und sich selbst – den Mann, der sagte, es sei unmöglich – zum Gespött der ganzen Welt machen sollte.

Vielleicht glaubte er, es gäbe keinen Ausweg. Vielleicht aber …

 

Mit einem sicheren Stoß seines Queue setzte er die Kugel in Bewegung. Sie lief nicht rasch, und jedes Auge folgte ihr. Sie berührte die Bande und prallte ab. Sie bewegte sich jetzt noch langsamer, als erhöhe Priss selbst die Spannung und gestaltete so den Triumph Blooms noch erregender.
Ich konnte bestens sehen, da ich an der Seite des Tisches stand, die Priss gegenüberlag. Ich konnte sehen, wie die Kugel auf das Strahlen des Nullfeldes zulief, und dahinter konnte ich auf dem Sitz die Körperpartien Blooms sehen, die nicht durch dieses Strahlen verdeckt wurden.

Die Kugel näherte sich dem Bereich des Nullfelds, schien für einen Augenblick an seinem Rand stehenzubleiben und war mit einem Lichtblitz, einem Donnerschlag und dem plötzlichen Geruch nach verbranntem Tuch verschwunden. Wir schrien. Wir schrien alle auf.

Ich habe mit dem Rest der Welt zusammen die Szene inzwischen im Fernsehen gesehen. Ich kann mich auf dem Film selbst sehen, während dieser fünfzehn Sekunden wildesten Durcheinanders, aber ich kann mein Gesicht wirklich nicht wiedererkennen.

Fünfzehn Sekunden! Und dann entdeckten wir Bloom. Er saß immer noch auf dem Stuhl, seine Arme waren immer noch verschränkt, aber durch Unterarm, Brust und Rücken ging ein Loch von der Größe einer Billardkugel. Wie die Autopsie später zeigte, war der größte Teil seines Herzens sauber herausgestanzt worden.

 

Man schaltete das Gerät ab. Man rief die Polizei.
Man schleppte Priss fort, der völlig zusammengebrochen war. Ich war nicht besser dran, und wenn irgendein Reporter, der mit dabei war, je sagen sollte, er sei kaltblütig geblieben, dann ist er ein kaltblütiger Lügner.

Es vergingen einige Monate, bevor ich mit Priss wieder zusammentraf. Er war schlanker geworden, wirkte aber gesund. Seine Wangen waren gerötet, und er strahlte so etwas wie Entschlußfreudigkeit aus. Er war besser gekleidet, als ich ihn je gesehen hatte.

Er sagte: »Ich weiß jetzt, was geschehen ist. Wenn ich Zeit zum Nachdenken gehabt hätte, wäre es mir damals schon eingefallen. Aber ich bin ein langsamer Denker, und der arme Ed Bloom war so darauf erpicht, eine große Schau abzuziehen und machte das so gut, daß ich mitgerissen wurde. Ich habe natürlich versucht, den Schaden, den ich unabsichtlich verursacht habe, zum Teil wieder gut zumachen.« »Sie können Bloom nicht wieder zum Leben erwecken«, sagte ich ernst.

 

»Nein, das kann ich nicht«, sagte er genauso ernst.
»Aber man muß auch an die Bloom Enterprises denken. Was vor den Augen der Welt bei der Vorführung passierte, war die denkbar schlechteste Reklame für die Null-Schwerkraft, und es ist wichtig, daß die Sache geklärt wird. Deshalb habe ich Sie hergebeten.« »Ja?« »Wenn ich hätte schneller denken können, würde ich gewußt haben, daß Ed reinen Blödsinn erzählte, als er sagte, daß die Billardkugel in dem Nullfeld langsam in die Höhe steigen würde.

Es konnte nicht sein. Wenn Bloom die Theorie nicht so verachtet hätte, wenn er sich nicht so in seinen Stolz, von Theorie nichts zu wissen, verrannt hätte, wäre er selbst darauf gekommen. Schließlich ist die Bewegung der Erde nicht die einzige Bewegung, die da mit hereinspielt, junger Mann. Die Sonne bewegt sich auch in einer riesigen Kreisbahn um die Mitte der Galaxis, die wir Milchstraße nennen.

Und die Galaxis bewegt sich selbst auf eine Art, die wir nicht genau bestimmen können. Man könnte meinen, wenn die Billardkugel einem Nullfeld ausgesetzt wird, bliebe sie von all diesen Bewegungen unbeeinflußt und würde plötzlich in einen Zustand absoluter Ruhe fallen – obwohl es so etwas wie absolute Ruhe nicht gibt.« Priss schüttelte langsam den Kopf. »Ich glaube, die Schwierigkeit mit Ed war, daß er an die Art von NullSchwerkraft dachte, die in einem Raumschiff auftritt, wenn es sich im freien Fall befindet, wenn die Leute durch die Luft schweben.

 

Er erwartete, daß die Kugel durch die Luft schweben würde. Die Null-Schwerkraft in einem Raumschiff kommt nicht zustande, weil die Schwerkraft abwesend ist, sondern nur, weil zwei Objekte, das Raumschiff und der Mensch in ihm, gleich schnell fallen und auf genau gleiche Weise auf die Schwerkraft reagieren, so daß jedes Objekt in bezug auf das andere bewegungslos ist. In dem Nullfeld, das Ed hervorbrachte, wurde das Gummidecken-Universum glattgemacht, was einen echten Verlust der Masse bedeutet.

Alles, was sich in diesem Feld befand, die Luftmoleküle darin und die Kugel, die ich hinterließ, war völlig masselos, solange es sich in ihm befand. Ein völlig masseloses Objekt kann sich nur auf eine Art bewegen.« Er schwieg und forderte eine Frage heraus. Ich stellte sie. »Auf welche Art?« »Mit Lichtgeschwindigkeit. Jedes masselose Objekt wie ein Neutrino oder ein Photon muß, solange es existiert, sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Das Licht bewegt sich nur deshalb mit dieser Geschwindigkeit, weil es sich aus Photonen zusammensetzt.

Sobald die Billardkugel in dem Nullfeld war und ihre Masse verlor, nahm sie sogleich auch Licht geschwindigkeit an und verschwand.« Ich schüttelte den Kopf. »Aber hatte sie nicht sofort ihre Masse wieder, sobald sie den Bereich des Nullfelds verlassen hatte?« »Sicher, und geriet sofort unter den Einfluß des SchwerkraftfeldesundverlangsamtesichaufGrundder Reibung mit Luft und der Fläche des Billardtisches.

 

Aber überlegen Sie, wieviel Reibungskraft nötig wäre, ein Objekt von der Masse einer Billardkugel, das sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, abzubremsen.

In einem Tausendstel einer Sekunde war es durch die hundertfünfzig Kilometer dicke Luftschicht der Erde hindurch, und ich glaube nicht, daß es sich um mehr als ein paar Kilometer pro Sekunde der ganzen 299 792 Kilometer pro Sekunde verlangsamt hat. Auf seinem Weg versengte es die Tischfläche, durchbrach glatt seinen Rand, fuhr durch den armen Ed wie auch durch das Fenster und stanzte saubere Löcher aus, weil es schon durch war, bevor das Material der Umgebung auch noch Gelegenheit hatte zu brechen und zu splittern, und das selbst bei einem so spröden Stoff wie Glas.

Es war ein besonderer Glücksfall, daß wir uns im obersten Stock eines Gebäudes befanden, das mitten auf dem Land steht. Wenn wir in der Stadt gewesen wären, hätte es eine Reihe von Gebäuden durchschlagen und eine Menge Leute töten können.

 

Inzwischen ist die Billardkugel tief in den Raum eingedrungen und hat den Rand des Sonnensystems
schon weit hinter sich gelassen und wird so lange weiter fliegen, bis sie auf ein Objekt trifft, daß groß genug ist, um sie aufzuhalten. Und dann wird sie einen ansehnlichen Einschlagkrater aufwerfen.« Ich ließ mir die Sache durch den Kopf gehen und war mir nicht sicher, ob sie mir gefiel. »Wie ist das möglich? Die Billardkugel war fast zum Stillstand gekommen, als sie in das Nullfeld eintrat. Ich sah es.
Und Sie sagen, daß sie es mit einer unvorstellbaren Menge an kinetischer Energie wieder verließ.

Wo kam die Energie her?« Priss zuckte die Achseln. »Sie kam nirgends her! Das Gesetz der Erhaltung der Energie gilt nur unter den Bedingungen, unter denen die Allgemeine Relativitätstheorie ihre Gültigkeit behält, das heißt, in einem eingedelltenGummidecken-Universum.Wo auch die Eindellung glattgemacht wird, gilt die Allgemeine Relativität nicht mehr, und Energie kann frei geschaffen und zerstört werden.

Das erklärt auch die Strahlung, die an der zylindrischen Außenseite des Nullfelds auftrat. Wie Sie sich erinnern, erklärte Bloom diese Strahlung nicht, und ich fürchte, er konnte sie auch nicht erklären. Hätte er nur erst weiterexperimentiert. Wenn er nicht so verrückt darauf gewesen wäre, seine Schau abzuziehen …« »Sir, wodurch erklärt sich diese Strahlung?« »Durch die Luftmoleküle innerhalb des Bereichs.

 

Jedes nimmt Lichtgeschwindigkeit an und bricht nach draußen. Es handelt sich nur um Moleküle, nicht um Billardkugeln. Sie werden deshalb abgebremst, aber ihre kinetische Energie wird dabei in energiegeladene Strahlung verwandelt. Das geht ununterbrochen vor sich, weil ständig neue Moleküle in den Bereich geraten, Lichtgeschwindigkeit annehmen und nach draußen brechen.« »Dann wird ununterbrochen Energie geschaffen?« »Genau.

Und das müssen wir der Öffentlichkeit klarmachen. Die Anti-Schwerkraft ist keine Sache, mit der man hauptsächlich Raumschiffe anhebt oder mechanische Fortbewegung revolutioniert. Sie ist vielmehr die Quelle unaufhörlicher freier Energiezufuhr, da ein Teil der erzeugten Energie dazu verwendet werden kann, das Feld aufrechtzuerhalten, das diesen Abschnitt des Universums glatthält. Ohne es zu wissen, hat Ed Bloom nicht nur die erste Anti-Schwerkraft erzeugt, sondern auch das erste erfolgreiche Spitzenmodell eines Perpetuum mobile erfunden, eins, das Energie aus dem Nichts erschafft.« Ich sagte langsam: »Professor, stimmt es, daß jeder von uns durch die Billardkugel hätte getötet werden können? Sie hätte in jeder Richtung herauskommen können.«

Priss sagte: »Nun, bei jeder Lichtquelle treten die masselosen Photonen in jeder Richtung mit Lichtgeschwindigkeit aus. Deshalb breitet sich das Licht einer Kerze in alle Richtungen aus. Die masselosen Luftmoleküle verlassen den Bereich des Nullfelds in alle Richtungen, weshalb auch der ganze Zylinder strahlt. Die Billardkugel war jedoch nur ein Einzelobjekt. Es hätte in jeder Richtung herauskommen können, aber es mußte in irgendeiner Richtung herauskommen, die dem Zerfall unterworfen war, und zufällig war es die, die Ed erwischte.« Daswar’sdann.Überdie Folgen weiß jederBescheid.

 

Die Menschheit hatte freie Energie, und so wurde die Welt zu dem, was sie jetzt ist. Der Aufsichtsrat der Bloom Enterprises vertraute Professor Priss ihre Entwicklung an, und nach einiger Zeit war er so reich und berühmt, wie es Edward Bloom nur je gewesen war. Und Priss erhielt zwei weitere Nobelpreise. Nur …

Ich mache mir weiter Gedanken. Aus einer Lichtquelle brechen Photonen in allen Richtungen hervor,
weil sie in einem Augenblick erzeugt werden und es keinen Grund für sie gibt, irgendeine Richtung zu bevorzugen. Luftmoleküle verlassen ein Nullfeld in allen Richtungen, weil sie aus allen Richtungen eintreten.

Aber wie steht es mit einer einzelnen Billardkugel, die aus einer bestimmten Richtung in ein Nullfeld dringt? Verläßt sie es in derselben Richtung oder in irgendeiner Richtung? Ich habe vorsichtig nachgeforscht, aber die theoretischen Physiker sind sich anscheinend nicht sicher, und ich kann keine Hinweise darauf finden, daß die Bloom Enterprises, die als einzige Organisation mit Nullfeldern arbeitet, jemals auf dem Gebiet experimentiert hat. Jemand von der Organisation sagte mir einmal, daß das Unschärfeprinzip gewährleistet, daß ein Objekt, das in beliebiger Richtung eintritt, in ganz zufälliger Richtung auch wieder austritt.

Aber warum läßt man sich dann dort nicht auf dieses Experiment ein? Könnte es also sein, daß Priss’ Verstand einmal rasch gearbeitet hat? Könnte es sein, daß Priss unter dem Druck dessen, was Bloom ihm anzutun versuchte, plötzlich alles verstanden hatte? Er hatte die Strahlung betrachtet, die den Bereich des Nullfelds umgab. Er war ihr vielleicht auf den Grund gekommen und sich über die Lichtgeschwindigkeit dessen im klaren, was in den Bereich eindrang.

 

Wieso hatte er dann nichts gesagt? Eins ist sicher. Nichts von dem, was Priss am Bil- lardtisch machte, konnte Zufall sein. Er war ein Könner, und die Billardkugel machte genau das, was er wollte. Ich stand direkt dort. Ich sah, wie er Bloom und dann den Tisch ansah, als schätze er die Winkel ab.
Ich beobachtete, wie er die Kugel anstieß.

Ich beobachtete sie, wie sie an der Bande abprallte und aus einer ganz bestimmten Richtung in den Bereich des Nullfelds rollte.

Als nämlich Priss die Kugel zum Bereich des Nullfeldes hinschickte – und die Tri-di-Filme bestätigen es –, zielte sie schon direkt auf Blooms Herz!

Ein Unglücksfall?

Oder Zufall?

Mord?

..

.

Isaac Asimov – Die Billardkugel

auf Englisch: The Billiard Ball, 1967

Kurzgeschichte

Fantastische Literatur

Science Fiction Geschichte

Volltext ins Deutsche übersetzt

 

Isaac Asimov The Billiard Ball Originaltext in Englisch > hier

 

 

Isaac Asimov Alle geschichten > hier

 

 

www.yeyebook.com

 

Das könnte dich auch interessieren …