Jerome David SALINGER – EIN HERRLICHER TAG FÜR BANANEFISCHE (geschichten) DE

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Jerome David Salinger

 

Ein herrlicher tag für bananenfische

(geschichten)

 

 

 

A Perfect Day for Bananafish (deutsche Erstübersetzung unter dem Titel Ein herrlicher Tag für Bananen-Fisch von Elisabeth Schnack, 1966) ist eine Kurzgeschichte des amerikanischen Schriftstellers J. D. Salinger, die nach ihrer Erstveröffentlichung am 31. Januar 1948 im New Yorker als Eröffnungsgeschichte 1953 in die Sammlung Nine Stories (dt. Neun Erzählungen in der Übersetzung von Elisabeth Schnack und Annemarie und Heinrich Böll, 1966) aufgenommen wurde.

Ein herrlicher Tag für Bananen-Fisch thematisiert als erste der Geschichten Salingers über die Glass-Familie die Hintergründe und Motive für den Selbstmord des Kriegsveteranen Seymour Glass im März 1948 während eines Genesungsurlaubs mit seiner Ehefrau Muriel in Florida nach der Rückkehr aus dem Zweiten Weltkrieg und der Entlassung aus einem Nervensanatorium.

 

 

 

Ein herrlicher tag für bananenfische

 

 

 

In dem hotel waren siebenundneunzig New Yorker Werbeleute, die die Fernverbindungen derart in Beschlag hielten, dass die junge Frau auf 507 von mittags bis beinahe halb drei warten musste, ehe sie mit ihrem anruf durchkam. aber sie nutzte die zeit. Sie las in einer taschenbuchgroßen zeitschrift einen artikel mit dem Titel »Sex ist schön – oder die hölle«. Sie wusch Kamm und Bürste aus. Sie entfernte den Fleck aus dem rock ihres beigefarbenen Kostüms.

Sie versetzte den Knopf an der Saks-Bluse. Sie zupfte zwei frisch gewachsene härchen auf ihrem leberfleck aus. als die Telefonistin sie schließ-lich auf dem zimmer anrief, saß sie auf der Fensterbank und hatte die Nägel ihrer linken hand fast vollständig
lackiert.

Sie war eine von denen, die wegen eines klingelnden Telefons nun wirklich nichts weglegten. Sie sah aus, als hätte das Telefon unablässig geklingelt, seit sie in die Pubertät gekommen war. Mit ihrem kleinen lackpinsel bestrich sie, während das Telefon klingelte, den Nagel ihres kleinen Fingers, betonte besonders die linie des Nagelmonds. Dann schraubte sie den Deckel auf das lackfläschchen und wedelte beim aufstehen mit der linken – der nassen – hand durch die luft. Mit der trockenen nahm sie einen übervollen aschenbecher von der Fensterbank und trug ihn zum Nachttischchen, auf dem das Telefon stand. Sie setzte sich auf eines der beiden gemachten einzelbetten und nahm – beim fünften oder sechsten Klingeln – den hörer ab.
»hallo«, sagte sie, wobei sie die Finger der linken hand ausgestreckt von ihrem weißen Seidenmorgenmantel weghielt, der bis auf die Pantoffeln das einzige war, was sie trug – ihre ringe lagen im Badezimmer.

 

»ich habe jetzt ihren anruf nach New York, Mrs glass«, sagte die Telefonistin.
»Danke«, sagte die junge Frau und machte auf dem Nachttischchen Platz für den ascher.
eine Frauenstimme meldete sich. »Muriel? Bist du das?«
Die junge Frau drehte den hörer ein klein wenig vom Ohr weg. »Ja, Mutter. Wie geht es dir?«, sagte sie.
»ich habe mich zu Tode um dich gesorgt. Warum hast du denn nicht angerufen? ist alles in Ordnung?«
»ich hab’s gestern abend versucht und auch noch den abend davor. Das Telefon hier ist – «
»ist alles in Ordnung, Muriel?«
Die junge Frau vergrößerte den Winkel zwischen hörer und Ohr. »Mir geht’s gut. Mir ist ganz heiß. es ist der hei-
ßeste Tag, den sie in Florida seit – «
»Warum hast du mich denn nicht angerufen? ich habe mich zu – «
»liebste Mutter, schrei mich nicht an. ich kann dich hervorragend hören«, sagte die junge Frau. »ich habe dich gestern abend zweimal angerufen. einmal gleich nach – «
»ich habe deinem Vater noch gesagt, dass du wahrscheinlich gestern abend angerufen hast. aber nein, er musste ja  – ist alles in Ordnung, Muriel? Sag mir die Wahrheit.«
»Mir geht’s gut. hör bitte auf, mich das zu fragen.«
»Wann bist du angekommen?«

 

»ich weiß nicht. Mittwochvormittag, früh.«
»Wer ist gefahren?«
»er«, sagte die junge Frau. »und reg dich nicht auf. er ist sehr schön gefahren. ich war erstaunt.«
»Er ist gefahren? Muriel, du hast mir dein ehren – «
»Mutter«, unterbrach sie die junge Frau.

 

»gerade habe ich es dir gesagt. er ist sehr schön gefahren. im Übrigen die ganze Strecke unter achtzig.«
»hat er wieder diese komischen Sachen mit den Bäumen probiert?«
»ich sagte doch, er ist sehr schön gefahren, Mutter. also bitte. ich habe ihn gebeten, sich dicht an die weiße linie zu halten, und er wusste, was ich damit meinte, und er hat es getan. er hat sich sogar bemüht, nicht auf die Bäume zu gucken  – das war ganz offensichtlich. hat Daddy übrigens den Wagen repariert bekommen?«
»Noch nicht. Die wollen vierhundert Dollar, nur wegen – «
»Mutter, Seymour hat Papa doch gesagt, dass er es bezahlt. es gibt keinen grund zu – «
»Na, wir werden sehen. Wie hat er sich benommen – im Wagen und überhaupt?«
»ganz gut«, sagte die junge Frau.
»hat er dich mit diesem grässlichen – «
»Nein. er hat jetzt einen neuen Namen für mich.«
»Was?«
»ach, was ändert das schon, Mutter.«
»Muriel, ich will es wissen. Dein Vater – «

 

»Schon gut, schon gut. er nennt mich Miss Spirituelles Flittchen 1948«, sagte die junge Frau und kicherte.
»Das ist nicht lustig, Muriel. Das ist überhaupt nicht lustig. es ist grauenvoll. eigentlich traurig. Wenn ich daran
denke, wie – «

»Mutter«, unterbrach sie die junge Frau,

» hör mir mal zu. erinnerst du dich an das Buch, das er mir aus Deutschland geschickt hat? Du weißt schon  – diese deutschen
gedichte. Was habe ich damit nur gemacht? ich zerbreche mir den – «
»Du hast es doch.«
»Bist du sicher?«, sagte die junge Frau.
»aber natürlich. Vielmehr, ich habe es. es ist in Freddies zimmer. Da hast du es liegen gelassen, und ich hatte keinen Platz dafür im – Warum? Will er es?«
»Nein. er hat mich nur auf der herfahrt danach gefragt. er wollte wissen, ob ich es gelesen habe.«
»es war auf Deutsch!«
»Ja, Mutter. Das ändert doch nichts«, sagte die junge Frau und schlug die Beine übereinander. »er hat gesagt, die gedichte seien nun mal vom einzigen großen Dichter des Jahrhunderts geschrieben worden. er hat gesagt, ich hätte eine Übersetzung oder so was kaufen sollen. Oder bitte schön die Sprache lernen.«
»grässlich, ganz grässlich. eigentlich ist es traurig, das ist es nämlich. gestern abend sagte dein Vater – «
»einen Moment, Mutter«, sagte die junge Frau. Sie ging zur Fensterbank, nahm sich eine zigarette, zündete sie an
und kehrte zu ihrem Platz auf dem Bett zurück. »Mutter?«, sagte sie und stieß rauch aus.
»Muriel. Nun hör mir mal zu.«
»ich höre.«
»Dein Vater hat mit Dr. Sivetski gesprochen.«
»ach«, sagte die junge Frau.
»er hat ihm alles erzählt. Wenigstens hat er das gesagt – du kennst deinen Vater ja. Die Bäume. Die Sache
mit dem Fenster. Die grauenvollen Dinge, die er zu Omi wegen ihrer Sterbepläne gesagt hat. Was er mit den gan-zen hübschen Bildern von den Bermudas gemacht hat – alles.«

 

 

»Ja?«, sagte die junge Frau.
»Ja. als erstes hat Dr. Sivetski gesagt, es sei ein absolutes Verbrechen, dass die armee ihn aus dem Krankenhaus
entlassen hat  – ehrenwort. er hat deinem Vater sehr nachdrücklich gesagt, dass die Möglichkeit besteht – die
Möglichkeit ist sehr groß, hat er gesagt –, dass Seymour vollständig die Beherrschung verlieren könnte. ehrenwort.«
»hier im hotel gibt’s einen Psychiater«, sagte die junge Frau.
»Wer? Wie heißt er?«
»Das weiß ich nicht. rieser oder so ähnlich. er soll sehr gut sein.«
»Nie gehört.«
»Na, jedenfalls soll er sehr gut sein.«
»Muriel, werde bitte nicht pampig. Wir machen uns sehr große Sorgen um dich. Dein Vater wollte dir gestern Abend sogar telegrafieren, du solltest nach hause kom – «
»ich komme jetzt nicht nach hause, Mutter. entspann dich also.«
»Muriel. ehrenwort. Dr. Sivetski hat gesagt, Seymour könnte vollständig die Beherr – «
»ich bin doch erst angekommen, Mutter. Das ist mein erster urlaub seit Jahren, und ich werde jetzt nicht einfach wieder alles einpacken und nach hause kommen«, sagte die junge Frau.

 

»ich könnte jetzt ohnehin nicht reisen. ich habe einen solchen Sonnenbrand, ich kann mich kaum rühren.«
»einen schlimmen Sonnenbrand hast du? hast du denn nicht die Dose Bronze genommen, die ich dir in den Koffer
getan habe? ich habe sie genau – «

»ich habe sie genommen. Trotzdem bin ich verbrannt.«
»Das ist ja furchtbar. Wo bist du denn verbrannt?«
»Überall, Mutter, überall.«
»Das ist ja furchtbar.«
»ich werd’s überleben.«
»Sag, hast du mit diesem Psychiater gesprochen?«
»Ja, gewissermaßen«, sagte die junge Frau.
»Was hat er gesagt? Wo war Seymour, als du mit ihm
gesprochen hast?«
»im Ocean room, er hat Klavier gespielt. an beiden abenden, seit wir hier sind, hat er Klavier gespielt.«
»und, was hat er gesagt?«
»ach, nicht viel. er hat mich angesprochen. ich habe gestern abend beim Bingo neben ihm gesessen, und er hat mich gefragt, ob das nicht mein Mann sei, der im anderen raum Klavier spielt. ich habe Ja gesagt, und er hat mich gefragt, ob Seymour krank sei oder so was. also habe ich gesagt – «
»Warum hat er das denn gefragt?«
»ich weiß es nicht, Mutter. Vermutlich, weil er so blass und so weiter ist«, sagte die junge Frau. »Nach dem Bingo hat er mich jedenfalls gefragt, ob ich mit ihm und seiner Frau etwas trinken wolle. Das habe ich dann getan. Seine Frau war grauenvoll. erinnerst du dich an das grässliche abendkleid, das wir bei Bonwit im Schaufenster gesehen haben? Von dem du gesagt hast, da bräuchte man einen ganz, ganz kleinen – «
»Das grüne?«
»Das hatte sie an. und dann diese hüften. Ständig hat sie mich gefragt, ob Seymour mit dieser Suzanne glass verwandt ist, die diesen laden in der Madison avenue hat – diesen Modesalon.«
»aber was hat er gesagt? Der arzt.«

 

»ach, eigentlich nicht viel. Schließlich waren wir ja in der Bar und so weiter. es war schrecklich laut.«
»Ja, aber hast du – hast du ihm gesagt, was er mit Omis Stuhl machen wollte?«
»Nein, Mutter. ich bin nicht weiter in die Details gegangen«, sagte die junge Frau. »Wahrscheinlich habe ich morgen noch einmal die Möglichkeit, mit ihm zu sprechen. er ist den ganzen Tag in der Bar.«
»hat er gesagt, es könnte die Möglichkeit bestehen, dass er – na ja – komisch oder dergleichen werden könnte? Dir etwas antut!«
»Nicht so richtig«, sagte die junge Frau.

 

»er braucht mehr Fakten, Mutter. Sie müssen etwas über die Kindheit wissen – diesen ganzen Kram. ich habe dir doch gesagt,
wir konnten kaum reden, weil es da so laut war.«
»Na schön. Was ist mit dem blauen Mantel?«
»alles in Ordnung. ich habe die Polster ein wenig verkleinern lassen.«
»Wie sind denn die Kleider dieses Jahr?«
»Schrecklich. aber sagenhaft. Man sieht Pailletten  – alles«, sagte die junge Frau.
»Wie ist dein zimmer?«
»ganz gut. Mehr aber auch nicht. Das zimmer, das wir vor dem Krieg immer hatten, haben wir nicht gekriegt«, sagte die junge Frau. »Die leute sind grässlich dieses Jahr. Du solltest mal sehen, was da im Speisesaal so neben uns sitzt. am Nebentisch. Die sehen aus, als wären sie mit dem lastwagen gekommen.«
»ach, es ist überall das gleiche. und wie ist dein Ballerinarock?«
»zu lang. ich habe dir ja gesagt, er ist zu lang.«
»Muriel, ich frage dich jetzt nur noch ein Mal – ist alles in Ordnung?«

»Ja, Mutter«, sagte die junge Frau. »zum neunzigsten Mal.«
»und du willst nicht nach hause kommen?«
»Nein, Mutter.«
»Dein Vater sagte gestern abend, er sei nur zu gern bereit, es zu bezahlen, wenn du allein irgendwohin fahren wolltest, um dir einmal alles zu überlegen. Du könntest ja eine nette Kreuzfahrt machen. Wir haben beide gedacht – «
»Nein danke«, sagte die junge Frau und streckte die Beine wieder. »Mutter, dieses gespräch kostet ein Verm – «
»Wenn ich daran denke, wie du den ganzen Krieg hindurch auf diesen Jungen gewartet hast – ich meine, wenn man mal an die ganzen verrückten ehefrauchen denkt, die – «
»Mutter«, sagte die junge Frau, »wir legen jetzt lieber auf. Seymour könnte jeden Moment kommen.«
»Wo ist er?«
»am Strand.«
»am Strand? allein? Benimmt er sich denn am Strand?«
»Mutter«, sagte die junge Frau, »du sprichst von ihm, als wäre er ein tobender Irrer – «
»etwas Derartiges habe ich nicht gesagt, Muriel.«
»Na, so hat es sich jedenfalls angehört. er liegt doch einfach nur da. er zieht nicht mal den Bademantel aus.«
»er zieht den Bademantel nicht aus? Warum nicht?«
»Das weiß ich nicht. Vermutlich, weil er so blass ist.«
»Meine güte, er braucht doch Sonne. Kannst du ihm das nicht sagen?«
»Du kennst doch Seymour«, sagte die junge Frau und schlug die Beine wieder übereinander. »er sagt, er will nicht, dass so viele idioten seine Tätowierung sehen.«
»er hat doch gar keine Tätowierung! hat er eine von der armee?«

 

 

»Nein, Mutter. Nein«, sagte die junge Frau und stand auf. »hör zu, ich rufe dich vielleicht morgen wieder an.«
»Muriel, nun hör mir mal zu.«
»Ja, Mutter«, sagte die junge Frau und verlagerte das gewicht aufs rechte Bein.

»ruf mich sofort an, wenn er etwas auch nur annähernd Komisches macht oder sagt  – du weißt, was ich meine. hörst du?«
»Mutter, ich habe keine angst vor Seymour.«
»Muriel, ich möchte, dass du mir das versprichst.«
»Na gut, versprochen. Wiedersehen, Mutter«, sagte die junge Frau. »und grüß Papa von mir.« Sie legte auf.
»Sieh mehr glas«, sagte Sybil Carpenter, die mit ihrer Mutter in dem hotel wohnte. »Sieh mehr glas.«
»Mein Kätzchen, sag das nicht. es macht Mami absolut verrückt. halt bitte still.«

 

Mrs Carpenter trug Sonnenöl auf Sybils rücken auf, verrieb es auf ihren zarten, flügelartigen Schulterblättern. Sybil saß wackelig auf einem riesigen aufgeblasenen Strandball und blickte auf den Ozean. Sie trug einen kanariengelben zweiteiligen Badeanzug, dessen einen Teil sie die nächsten neun oder zehn Jahre eigentlich gar nicht brauchen würde.
»es war wirklich nur ein gewöhnliches Seidentuch – das konnte man sehen, wenn man nahe dran war«, sagte
die Frau in dem liegestuhl neben Mrs Carpenter. »Wenn ich nur wüsste, wie sie es gebunden hat. es war zu
goldig.«
»es klingt goldig«, pflichtete Mrs Carpenter ihr bei.
»Sybil, halt still, mein Kätzchen.«
»ist sieh mehr glas da?«, sagte Sybil.
Mrs Carpenter seufzte. »Na schön«, sagte sie. Sie schraubte die Kappe auf die Sonnenölflasche. »Nun lauf und spiel, mein Kätzchen. Mami geht ins hotel und trinkt mit Mrs hubbel einen Martini. ich bringe dir dann die Olive.«

Freigegeben, rannte Sybil sogleich zum flachen Teil des Strandes hinunter und lief dann in richtung des Fischerpavillons. Nur einmal hielt sie an, um den Fuß in eine durchweichte, eingefallene Burg zu stecken, dann war sie schon bald außerhalb des areals, das für die hotelgäste reserviert war.

Sie ging ungefähr einen halben Kilometer und rannte dann unvermittelt den weichen Teil des Strandes schräg hinauf. abrupt blieb sie stehen, als sie die Stelle erreichte, wo ein junger Mann auf dem rücken lag.
»gehst du ins Wasser, sieh mehr glas?«, fragte sie. Der junge Mann fuhr zusammen, seine rechte hand griff nach dem revers seines Frotteemantels. er drehte sich auf den Bauch, ließ ein zur Wurst aufgerolltes Tuch von den augen fallen und blinzelte zu Sybil hinauf.

 

»hey. hallo, Sybil.«
»gehst du ins Wasser?«
»ich habe auf dich gewartet«, sagte der junge Mann.
»Was gibt’s Neues?«
»Was?«, fragte Sybil.
»Was gibt’s Neues? Was steht auf dem Programm?«
»Mein Papa kommt morgen mit dem Fluchzeug«, sagte Sybil, mit Sand herumkickend.
»Nicht mir ins gesicht, herzchen«, sagte der junge Mann und packte Sybil am Knöchel. »es wird auch allmählich
zeit, dass er kommt, dein Papa. ich erwarte ihn stündlich. Stündlich.«
»Wo ist die Frau?«, fragte Sybil.
»Die Frau?« Der junge Mann strich sich Sand aus den dünnen haaren.

»Schwer zu sagen, Sybil. Sie kann an tausend Orten sein. Beim Friseur. Wo sie sich die haare nerzbraun färben lässt. Oder sie macht auf ihrem zimmer Puppen für arme Kinder.« er lag nun flach auf dem Bauch, ballte die Fäuste, setzte eine auf die andere und legte das Kinn darauf. »Frag mich was anderes, Sybil«, sagte er.

»Da hast du aber einen schönen Badeanzug an. Wenn ich etwas mag, dann blaue Badeanzüge.«
Sybil starrte ihn an und dann auf ihren vorgestreckten Bauch. »Das ist ein gelber«, sagte sie. »ein gelber ist das.«
»Wirklich? Komm ein bisschen näher.« Sybil trat einen Schritt vor.
»Du hast vollkommen recht. Was bin ich doch für ein Trottel.«
»gehst du ins Wasser?«, fragte Sybil.
»Das erwäge ich ernsthaft. ich denke intensiv darüber nach, Sybil, das hörst du sicher gern.«
Sybil stupste das gummifloß an, das der junge Mann manchmal als Kopfstütze nahm. »Da fehlt Luft«, sagte sie.
»Du hast recht. Da fehlt mehr luft, als ich gern zugeben würde.« er nahm die Fäuste weg und legte das Kinn
in den Sand.

»Sybil«, sagte er, »du siehst gut aus. Schön, dich zu sehen. erzähl mir was von dir.« er streckte die hände aus und packte Sybil an beiden Knöcheln.

»ich bin Steinbock«, sagte er. »Was bist du?«
»Sharon lipschutz hat gesagt, du lässt sie mit dir auf der Klavierbank sitzen«, sagte Sybil.
»Das hat Sharon lipschutz gesagt?«
Sybil nickte heftig. er ließ ihre Knöchel los, zog die hände zurück und legte das gesicht seitlich auf den rechten unterarm. »Na«,
sagte er, »du weißt ja, wie solche Sachen passieren, Sybil. ich habe dann gesessen und gespielt. und du warst nirgends zu sehen. und dann kam Sharon lipschutz und hat sich neben mich gesetzt. Da konnte ich sie doch schlecht runterschubsen, oder?«

»Doch.«
»O nein. Das ging nicht«, sagte der junge Mann. »aber ich sage dir, was ich gemacht habe.«
»Was?«
»ich habe so getan, als wäre sie du.«
Sogleich beugte sich Sybil herunter und grub im Sand.
»gehn wir ins Wasser«, sagte sie.
»Na gut«, sagte der junge Mann. »ich glaube, das kann ich einschieben.«
»Das nächste Mal schubst du sie aber runter«, sagte Sybil.
»Wen soll ich runterschubsen?«
»Sharon lipschutz.«
»ah, Sharon lipschutz«, sagte der junge Mann.

»Wie dieser Name immer wieder auftaucht. erinnerung mit Begehren vermengt.« unvermittelt stand er auf. er schaute
auf den Ozean.

»Sybil«, sagte er, »weißt du, was wir machen? Wir sehen mal, ob wir einen Bananenfisch fangen können.«
»einen was?«
»einen Bananenfisch«, sagte er und öffnete den gürtel seines Bademantels. er zog ihn aus. Seine Schultern waren weiß und schmal, seine Badehose war königsblau. er faltete den Bademantel zusammen, erst längs, dann zu Dritteln. er rollte das handtuch auseinander, das er über den augen gehabt hatte, breitete es auf dem Sand aus und legte dann den zusammengefalteten Bademantel darauf. er bückte sich, hob das Floß hoch und klemmte es sich unter den rechten arm. Dann nahm er mit der linken
hand Sybils hand.

 

 

zusammen gingen sie zum Ozean.
»ich könnte mir denken, du hast in deinem leben auch schon einige Bananenfische gesehen«, sagte der junge Mann. Sybil schüttelte den Kopf.
»Nicht? Wo wohnst du denn?«
»Weiß ich nicht«, sagte Sybil.
»Klar weißt du das. Das musst du doch wissen. Sharon lipschutz weiß auch, wo sie wohnt, und die ist erst dreieinhalb.«
Sybil blieb stehen und riss die hand von ihm los. Sie hob eine gewöhnliche Strandmuschel auf und betrachtete sie mit eingehendem interesse. Sie warf sie wieder hin.
»Whirly Wood, Connecticut«, sagte sie und ging wieder weiter, Bauch voran.
»Whirly Wood, Connecticut«, sagte der junge Mann.
»liegt das zufällig in der Nähe von Whirly Wood, Connecticut?«
Sybil sah ihn an. »Da wohne ich doch«, sagte sie ungeduldig.
»ich wohne in Whirly Wood, Connecticut.« Sie lief ein paar Schritte voraus, fasste den linken Fuß mit der linken hand und hüpfte zwei-, dreimal.
»Du hast ja keine ahnung, wie klar dadurch alles wird«, sagte der junge Mann.
Sybil ließ ihren Fuß los. »hast du ›Der kleine schwarze Sambo‹ gelesen?«, fragte sie.
»Sehr eigenartig, dass du mich das fragst«, sagte er.
»rein zufällig habe ich es gestern abend zu ende gelesen.«
er griff wieder nach Sybils hand. »Wie fandest du es?«, fragte er sie.
»Sind die Tiger um den Baum rumgerannt?«
»ich hab gedacht, die hören nie auf. Noch nie habe ich so viele Tiger gesehen.«

 

»es waren doch nur sechs«, sagte Sybil.
»Nur sechs!«, sagte der junge Mann. »Das nennst du nur?«
»Magst du Wachs?«, fragte Sybil.
»Ob ich was mag?«, fragte der junge Mann.
»Wachs.«
»Sehr. Du nicht auch?«
Sybil nickte. »Magst du Oliven?«, fragte sie.
»Oliven  – ja, Oliven und Wachs. Ohne die gehe ich nicht aus dem haus.«
»Magst du Sharon lipschutz?«, fragte Sybil.
»Ja. Doch, ich mag sie«, sagte der junge Mann. »Besonders gern mag ich an ihr, dass sie in der hotellobby nie gemein
zu kleinen hunden ist. zum Beispiel zu dem kleinen zwergterrier, der der Frau aus Kanada gehört. Wahrscheinlich
wirst du es mir nicht glauben, aber manche kleine Mädchen stupsen den kleinen hund mit Ballonstöckchen.
Sharon aber nicht. Sie ist nie gemein oder unfreundlich.
Deswegen mag ich sie so gern.« Sybil schwieg.
»ich kaue gern an Kerzen«, sagte sie schließlich.
»Wer mag das nicht?«, sagte der junge Mann und machte sich die Füße nass.

»huu, ist das kalt.« er ließ das gummifloß fallen. »Nein, warte noch kurz, Sybil. Warte, bis wir ein wenig weiter drin sind.«

 

Sie wateten hinein, bis das Wasser Sybil an die Taille ging. Dann hob der junge Mann sie hoch und legte sie bäuchlings auf das Floß.
»Trägst du nie eine Bademütze oder so was?«, fragte er.
»Nicht loslassen«, befahl Sybil. »halt mich jetzt ja fest.«
»Miss Carpenter. Bitte. ich weiß, was ich zu tun habe«, sagte der junge Mann. »halt du nur nach Bananenfischen
ausschau. heute ist der ideale Tag für Bananenfische.«
»ich seh keine«, sagte Sybil.
»Das ist verständlich. Sie haben sehr eigentümliche gewohnheiten. Sehr eigentümliche.« er stieß das Floß weiter. Das Wasser ging ihm nicht ganz bis zur Brust.

»Sie haben ein sehr tragisches leben«, sagte er. »Weißt du, was sie tun?

« Sie schüttelte den Kopf. »also, die schwimmen in ein loch, wo es viele Bananen gibt. Wenn sie hineinschwimmen, sind sie ganz gewöhnliche Fische. aber kaum sind sie drin, führen sie sich auf wie die Schweine. also, ich habe Bananenfische gesehen,
die sind in ein Bananenloch geschwommen und haben achtundsiebzig Bananen gefressen.« er schob das Floß und dessen Passagier einen halben Meter näher zum horizont.
»und dann sind sie so fett, dass sie natürlich nicht mehr aus dem loch rauskommen. Passen nicht mehr durch die Tür.«
»Nicht zu weit raus«, sagte Sybil. »Was passiert dann mit ihnen?«
»Was passiert mit wem?«
»Den Bananenfischen.«
»ach, du meinst, nachdem sie so viele Bananen gefressen haben, dass sie nicht mehr aus dem Bananenloch rauskommen?«
»Ja«, sagte Sybil.
»also, gern sage ich es dir nicht, Sybil. Sie sterben.«
»Warum?«, fragte Sybil.
»Na, die kriegen Bananenfieber. Das ist eine schreckliche Krankheit.«
»Da kommt eine Welle«, sagte Sybil nervös.
»Die ignorieren wir. Die schneiden wir«, sagte der junge Mann. »zwei Snobs.« er packte Sybil an den Knö-cheln und drückte sie runter und nach vorn. Das Floß schob sich über den Wellenkamm. Das Wasser machte Sybils blonde haare nass, aber ihr Schrei klang vergnügt. als das Floß wieder waagerecht lag, wischte sie sich mit der hand eine flache, nasse haarsträhne von den augen und berichtete: »gerade habe ich einen gesehen.«
»Was hast du gesehen, mein Schätzchen?«
»einen Bananenfisch.«
»Mein gott, nein!«, sagte der junge Mann. »hatte er Bananen im Maul?«
»Ja«, sagte Sybil. »Sechs.«
Plötzlich hob der junge Mann einen von Sybils nassen Füßen hoch, die über den rand des Floßes hingen, und
küsste ihn auf den Spann.

»he!«, sagte die Besitzerin des Fußes und drehte sich um.
»Selber he! Wir gehen jetzt raus. hast du genug?«
»Nein!«
»Tut mir leid«, sagte er und stieß das Floß richtung ufer, bis Sybil abstieg. Den rest der Strecke trug er es.
»Wiedersehen«, sagte Sybil und rannte ohne Bedauern richtung hotel.

Der junge Mann schlüpfte in den Bademantel, zog das revers fest zu und stopfte das handtuch in die Tasche. er
nahm das glitschig nasse Floß und klemmte es sich unter den arm. allein stapfte er durch den weichen, heißen
Sand zum hotel. im untergeschoss des hotels, wo die Badenden auf Wunsch der Direktion hineingehen sollten, stieg eine
Frau, zinksalbe auf der Nase, mit dem jungen Mann in den Fahrstuhl.

 

 

»Wie ich sehe, schauen Sie auf meine Füße«, sagte er zu ihr, als die Kabine sich in Bewegung gesetzt hatte.
»Wie bitte?«, sagte die Frau.
»ich sagte, wie ich sehe, schauen Sie auf meine Füße.«
»Wie bitte? zufällig schaue ich auf den Fußboden«, sagte die Frau, den Blick auf die Kabinentür.
»Wenn Sie auf meine Füße schauen wollen, brauchen Sie es nur zu sagen«, sagte der junge Mann. »aber machen Sie es nicht so verdammt heimlich.«
»lassen Sie mich bitte aussteigen«, sagte die Frau rasch zu der jungen Frau, die den aufzug bediente. Die aufzugtüren gingen auf, und die Frau stieg aus, ohne sich noch einmal umzudrehen.
»ich habe zwei normale Füße, ich sehe nicht den mindesten verdammten grund, dass jemand sie anstarren
sollte«, sagte der junge Mann.

»Fünfter, bitte.« er zog seinen zimmerschlüssel aus der Bademanteltasche. im fünften Stock stieg er aus, ging durch den Flur und
schloss 507 auf. Das zimmer roch nach neuem Kalbsledergepäck und Nagellackentferner. er warf kurz einen Blick auf die junge Frau, die auf einem der beiden einzelbetten schlief.

Dann ging er zu einem der gepäckstücke,

öffnete es und zog unter einem Stapel unterhosen und -hemden eine Ortgies automatik, Kaliber 7,65 hervor.

er klinkte das Magazin aus, betrachtete es und schob es wieder hinein.

er spannte die Waffe. Dann ging er zu dem freien einzelbett und setzte sich,

schaute auf die junge Frau,

legte die Pistole an und schoss sich eine

Kugel durch die rechte Schläfe.

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Jerome David Salinger – Ein herrlicher tag fur bananenfische

 

 

 

Jerome David Salinger

 

 

Jerome David Salinger (* 1. Januar 1919 in New York; † 27. Januar 2010 in Cornish, New Hampshire[1]), meist abgekürzt als J. D. Salinger, war ein US-amerikanischer Schriftsteller, der durch eine Reihe von Kurzgeschichten und seinen 1951 erschienenen Roman Der Fänger im Roggen weltbekannt wurde. (Wikipedia).

 

 

Werke

 

 

Der Fänger im Roggen (The Catcher in the Rye) (1951)

Neun Erzählungen (Nine Stories) (1953)

Ein herrlicher Tag für Bananen-Fisch (A Perfect Day for Bananafish). Erstveröffentlichung Januar 1948.

Onkel Wackelpeter in Connecticut (Uncle Wiggily in Connecticut). Erstveröffentlichung März 1948.

Unten beim Boot (Down at the Dinghy). Erstveröffentlichung im April 1949.

Franny und Zooey (Franny and Zooey) (1961)

Hebt den Dachbalken hoch, Zimmerleute und Seymour wird vorgestellt (Raise High the Roof Beam, Carpenters and Seymour: an Introduction) (1963)

Hapworth 16, 1924, Teil der Glass Family-Serie (1965)

Die jungen Leute. Drei Stories. Übersetzung Eike Schönfeld. Nachwort Thomas Glavinic. Piper, München 2015, ISBN 978-3-492-05698-4.

 

 

Literatur

 

 

Paul Alexander: Salinger. A biography. Renaissance Books, Los Angeles 1999. ISBN 1-58063-080-4.
Eberhard Alsen: A readers guide to J. D. Salinger. Greenwood Press, Westport 2002. ISBN 0-313-31078-5.
Frédéric Beigbeder: Oona & Salinger. Roman. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel. Piper, München 2015, ISBN 978-3-492-05415-7.
Peter Freese: Jerome David Salinger. In: Ders.: Die amerikanische Kurzgeschichte nach 1945 · Salinger · Malamud · Baldwin · Purdy · Barth. Athenäum Verlag, Frankfurt am Main 1974. ISBN 3-7610-1816-9, S. 97–179.
Peter Freese : J. D. Salingers Nine Stories: Eine Deutung der frühen Glassgeschichten. In: Paul G. Buchloh u. a. (Hg.): Amerikanische Erzählungen von Hawthorne bis Salinger · Interpretationen (= Kieler Beiträge zur Anglistik und Amerikanistik, Bd. 6). Karl Wachholtz Verlag, Neumünster 1968, S. 242–283.
Sarah Graham: J.D. Salinger’s The Catcher in the Rye. Routledge, London und New York 2007.
Ian Hamilton: Auf der Suche nach J. D. Salinger. Limes-Verlag, Berlin 1989. ISBN 3-8090-2275-6.
Margaret A. Salinger: Dream Catcher. A memoir. Washington Square Press, New York 2000. ISBN 0-671-04282-3.
Joyce Maynard: Tanzstunden. Mein Jahr mit Salinger, Piper, München 2002. ISBN 3-492-04129-9.
Joanna Rakoff: Lieber Mr. Salinger. Übersetzung Sabine Schwenk. München : Knaus, 2015
David Shields, Shane Salerno: Salinger : ein Leben. Übersetzung Yamin von Rauch. München : Droemer, 2015. ISBN 978-3-426-27637-2
Kenneth Slawenski: Das verborgene Leben des J. D. Salinger. Rogner & Bernhard, Berlin 2012. ISBN 978-3-95403-006-4.
Jason P. Steed (Hg.): The Catcher in the Rye: New Essays. Lang, New York 2002. ISBN 0-8204-5729-9.
Pamela Hunt Steinle: In Cold Fear: The Catcher in the Rye Censorship Controversies and Postwar American Character. Ohio State University Press, Columbus 2000. ISBN 0-8142-0848-7.
Klaus W. Vowe: J.D. Salinger: Just Before the War with the Eskimos. In: Michael Hanke (Hrsg.): Interpretationen. Amerikanische Short Stories des 20. Jahrhunderts (=Reclams Universal-Bibliothek Nr. 17506). Reclam, Stuttgart 1998, ISBN 3-15-017506-2, S. 138–145.
(Wikipedia)

 

 

 

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