Dante Alighieri. Göttliche Komödie. Die Hölle – Erster Lied

 

 

Dante Alighieri

Göttliche Komödie

Die Hölle

 

Die Commedia (italienisch für ‚Komödie‘), in späterer Zeit auch Divina Commedia (‚Göttliche Komödie‘) genannt, ist das Hauptwerk des italienischen Dichters Dante Alighieri (1265–1321). Sie entstand während der Jahre seines Exils und wurde wahrscheinlich um 1307 begonnen und erst kurze Zeit vor seinem Tod vollendet (1321). Die Divina Commedia gilt als bedeutendste Dichtung der italienischen Literatur und hat gleichzeitig die italienische Sprache als Schriftsprache erst begründet. Zudem wird sie als eines der größten Werke der Weltliteratur angesehen.

Die Hölle ist ein einem antiken Amphitheater gleichender Trichter mit steilen Terrassen zum Erdmittelpunkt hin, entstanden durch den Absturz Luzifers, wodurch auf der Südhalbkugel der Läuterungsberg aus dem Meer getrieben wurde. Die zehn „Kreise“ der Hölle (die Vorhölle und neun Kreise) sind die Orte, Standpunkte, Horizonte oder Charaktere, in und wegen derer sich die Buße und Läuterung der Sünder vollzieht.
(wikipedia)

 

 

Erster Gesang

 

1
Auf halbem Weg des Menschenlebens fand
Ich mich in einen finstern Wald verschlagen,
Weil ich vom graden Weg mich abgewandt.

4
Wie schwer ist’s doch, von diesem Wald zu sagen,
Wie wild, rauh, dicht er war, voll Angst und Noth;
Schon der Gedank’ erneuert noch mein Zagen.

7
Nur wenig bitterer ist selbst der Tod;
Doch um vom Heil, das ich drin fand, zu kunden,
Sag’ ich, was sonst sich dort den Blicken bot.

10
Nicht weiß ich, wie ich mich hineingewunden,
So war ich ganz vom tiefem Schlaf berückt,
Zur Zeit, da mir der wahre Weg entschwunden.

13
Doch bis zum Fuß des Hügels vorgerückt,
Dort, wo die Grenze war von jenem Thale,
Das mir mit schwerer Furcht das Herz gedrückt,

16
Schaut’ ich empor, und sah, den Rücken male
Ihm der Planet, der uns auf jeder Bahn
Gerad zum Ziele führt mit seinem Strahle.

19
Da fingen Angst und Furcht zu schwinden an,
Die mir des Herzens Blut erstarren machten,
In jener Nacht, da Grausen mich umfahn.

22
Und so wie athemlos, nach Angst und Schmachten,
Schiffbrüchige, noch von der Fluth durchnäßt,
Vom Strande starr der Wogen Grimm betrachten,

25
So kehrt’ auch ich, noch schwer das Herz gepreßt,
Mich jetzt zurück, nach jenem Passe sehend,
Der Keinen lebend sonst aus sich entläßt.

28
Den Leib gestärkt durch Ruhe, weiter gehend,
Wählt’ ich bergan den Weg zur Wildniß mir,
Fest immer auf dem tiefern Fuße stehend.

31
Sieh, beim Beginn des steilen Weges, schier
Bedeckt mit buntgeflecktem Fell die Glieder,
Gewandt und sehr behend ein Pantherthier.

34
Nicht wich’s von meinem Angesichte wieder,
Und also hemmt’ es meinen weitern Lauf,
Daß ich mich öfters wandt’ in’s Thal hernieder.

37
Am Morgen war’s, die Sonne stieg herauf,
Von jenen Sternen, so wie einst umgeben,
Als Gottes Lieb’ aus ödem Nichts herauf

40
Die schöne Welt berief zu Sein und Leben;
So ward durch jenes Thier mit buntem Haar
Anlaß zur Sorge doch mir nicht gegeben,

43
Zu solcher Stund’, im süßen, jungen Jahr –
Wenn Grund zur Furcht mir alsbald nicht erregte
Nunmehr ein Löwe, den ich ward gewahr!

46
Es schien, daß er sich gegen mich bewegte,
Erhobnen Haupt’s und mit des Hungers Wuth,
So daß er Zittern selbst der Luft erregte.

49
Auch eine Wölfin, welche jede Glut
Der Gier durch Magerkeit mir schien zu zeigen,
Die schon auf Viele schweren Jammer lud.

52
Vor dieser mußte so mein Muth sich neigen,
Aus Furcht, die bei dem Anblick mich durchbebt,
Daß mir die Hoffnung schwand, zur Höh’ zu steigen.

55
Wie der, der eifrig zu gewinnen strebt,
Wenn zum Verlieren nun die Zeit gekommen,
In Kümmerniß und tiefem Bangen lebt:

58
So machte dieses Unthier mich beklommen;
Von ihm gedrängt, mußt’ ich mich rückwärts ziehn,
Dorthin, wo nimmer noch die Sonn entglommen.

61
Indessen ich zur Tiefe stürzt’ im Fliehn,
Da zeigte meinem Blicke dort sich Einer,
Der durch zu langes Schweigen heiser schien.

64
„„Wer du auch seist,““ so rief ich, als ich seiner
Gewahrt in großer Wüste, „„nenn’ ich dich
Mensch oder Schatten, – o erbarm dich meiner!““

67
Und jener sprach: „Nicht bin, doch Mensch war ich;
Lombarden waren die, so mich erzeugten,
Und beide priesen Mantuaner sich.

70
Spät, als die Römer sich dem Julius beugten,
Sah ich das Licht, sah des Augustus Thron,
Zur Zeit der Götter, jener Trugerzeugten.

73
Ich war Poet und sang Anchises Sohn,
Der Troja floh, besiegt durch Feindestücke,
Als, einst so stolz, in Staub sank Ilion.

76
Und du – du kehrst zu solchem Gram zurücke?
Was bleibt die freud’ge Höhe nicht dein Ziel,
Die Anfang ist und Grund zum vollen Glücke?“

79
„„So bist du,““ rief ich, „„bist du der Virgil,
Der Quell, dem reich der Rede Strom entflossen?““
Ich sprach’s mit Scham, die meine Stirn befiel.

82
„„O Ehr’ und Licht der andern Kunstgenossen,
Vergilt jetzt große Lieb’ und langen Fleiß,
Die meinem Forschen dein Gedicht erschlossen.

85
Mein Meister, Vorbild! dir gebührt der Preis,
Den ich durch schönen Stil davongetragen,
Denn dir entnahm ich, was ich kann und weiß.

88
Sieh dieses Thier, o sieh mich’s rückwärts jagen,
Berühmter Weiser, sei vor ihm mein Hort,
Es macht mir zitternd Puls’ und Adern schlagen.““

91
„Du mußt auf einem andern Wege fort,“
Sprach er zu mir, den ganz der Schmerz bezwungen,
„Willst du entfliehn aus diesem wilden Ort.

94
Denn dieses Thier, das dich mit Graun durchdrungen,
Läßt Keinen ziehn auf seines Weges Spur,
Hemmt Jeden, bis es endlich ihn verschlungen.

97
Es ist von böser, tückischer Natur,
Und nimmer fühlt’s die wilde Gier ermatten,
Ja jeder Fraß schärft seinen Hunger nur.

100
Mit vielen Thieren sieht man es sich gatten,
Bis daß die edle Dogge kommt, die kühn
Es würgt und hinstürzt in die ew’gen Schatten.

103
Nicht wird nach Land und Erz ihr Hunger glühn,
Doch wird sie nie an Lieb’ und Weisheit darben;
Inmitten Feltr’ und Feltro wird sie blühn,

106
Zu Welschlands Heil, deß Ruhm und Glück verdarben,
Obwohl vordem Camilla für dies Land,
Euryalus, Turnus und Nisus starben.

109
Nicht wird sie ruhn, bis sie dies Thier verbannt;
Sie wird es wieder in die Hölle senken,
Von wo’s der erste Neid heraufgesandt.

112
Du folg’ jetzt mir zu deinem Heil – mein Denken
Und Urtheil ist’s – ich will dein Führer sein
Und dich durch ew’gen Ort von hinnen lenken.

115
Dort wirst du hören der Verzweiflung Schrei’n, (Hölle)
Wirst alte Geister schau’n, die brünstig flehen
Um zweiten Tod in ihrer langen Pein;

118
Wirst Jene dann im Feu’r zufrieden sehen (Fegfeuer),
Weil sie verhoffen, zu dem sel’gen Chor, (Paradies)
Sei’s wann es immer sei, noch einzugehen.

121
Und willst du auch zu diesem dann empor,
Würd’ger als ich, wird eine Seel’ erscheinen,
Die geht, schied ich, als Führerin dir vor.

124
[13] Denn Jener, der dort oben herrscht, läßt Keinen (Gott)
Eingehn, von mir geführt, vor seinen Thron,
Weil ich mich nicht verbunden mit den Seinen.

127
Allwärts gebeut er; doch er trägt die Kron’
Nur dort; dort ragen seines Sitzes Zinnen –
O selig, wen er wählt, daß er dort wohn’!

130
„„Laß, Dichter,““ rief ich, „„dich mein Flehn gewinnen!
Bei jenem Gotte, den du nicht erkannt,
Um Schlimmem hier und Schlimmerm zu entrinnen,

133
Bring’ an die Orte mich, die du genannt,
Und laß mich bald Sanct Petri Pforte sehen,
Und Jene, wie du sprachst, zur Qual verbannt.““

136
Er ging; ich säumte nicht, ihm nachzugehen.

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Dante Alighieri – Göttliche Komödie – Die Hölle – Erster Lied

 

 

 

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